Wuestenmond
kamen mir geläufig über die Lippen, im richtigen Tonfall. Und ich war nicht nur willens, diese Sprache zu gebrauchen, sondern auch froh darüber, daß der alte Mann nicht einen Augenblick an meinen Kenntnissen gezweifelt hatte.
»Hannon hat uns erwartet. Sakina hat schon befohlen, ein Zicklein zu schlachten.«
Ich runzelte die Stirn.
»Aber wer hat ihnen gesagt, daß wir kommen?«
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Ich hatte die Frage auf Tamahaq gestellt. Ein Funke blitzte in Hannons Augen auf. Er ließ ein ersticktes, kehliges Gelächter hören.
Seine Stimme war ganz erstaunlich, rauh und sanft zugleich, wie das Knurren einer Raubkatze – und ebenso fesselnd.
»Die Vögel«, sagte er. »Die Vögel haben es uns gesagt.«
Meine Kopfhaut zog sich zusammen. Zweifellos war es nicht nur eine Redensart. Die unheimliche Naturerkenntnis der Tuareg flößte mir Achtung ein. Sie mußten etwas gehört, gesehen oder gefühlt haben, das sie über unsere Ankunft unterrichtet hatte. Inzwischen traten Frauen, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatten, näher.
Einige hielten Babys im Arm. Die Kleider der Frauen waren staubig, zerschlissen; doch ihr aufrechter Gang, die Anmut ihrer Bewegungen, verwandelte die abgetragenen Lumpen in Märchengewänder. Eine Frau löste sich aus der Gruppe. Sie war groß und überschlank, bewegte sich mit hoheitsvollen, wiegenden Schritten. Ihr Gesicht hatte die Farbe dunklen Goldes. Auch ihre Kleider waren abgenutzt; als einzigen Schmuck trug sie die Chomeissa, das rautenförmige Geschmeide der Tuaregfrauen. Die Flechten unter ihrem fast grünlich verfärbten Schleier waren noch rabenschwarz, aber Alter und Armut hatten auf ihren Zügen tiefe Spuren hinterlassen; ihre Mundwinkel waren mit einem Ausdruck von Trauer nach unten gezogen. Doch Nase und Kinn waren wie gemeißelt, und die Haut lag straff über den schön geformten Wangenknochen. Sie lachte und richtete die Augen auf mich; es waren seltsame Augen, hell und kühn wie Wolfsaugen und von unbekümmertem Freimut. Elias’ Begrüßung entsprach vollkommen der bescheidenen Zurückhaltung, zu der er als Mann einer Frau gegenüber verpflichtet war. Als er ihr meinen Namen nannte, schimmerten ihre Augen freudig auf. Mit dem leisen Klirren ihres Schlüsselbundes schlug sie ihren Schleier zurück, reichte mir ihre schmalgliedrige Hand. Nach Art der Tuaregfrauen waren ihre Fingernägel bis zum Nagelmond mit Henna rot gefärbt. Sie trug einen auffälligen Hohlring am Zeigefinger: Der silberne Behälter in Form eines Sternes enthielt ein Kügelchen, das bei jeder Bewegung wie eine winzige Schelle klingelte.
»Du bist also Olivias Tochter«, sagte sie mit gedämpfter, singender Stimme, wobei sie – wie es üblich war – von meinem verstorbenen Vater nicht sprach. »Ich bin Sakina. Willkommen nach der langen Reise! Du bist sicher müde. Komm, du mußt ausruhen und Tee trinken. Wenn du jetzt nicht reden willst, ist es auch gut. Später wirst 317
du uns alles erzählen.«
Ich lächelte Sakina zu. Sie nahm mich bei der Hand und führte mich mit sich. Ihre warmen, dünnen Finger umschlossen sanft die meinen.
Sie ging gelassen zwischen den Frauen hindurch, die lächelnd zurückwichen. Mein Blick fiel auf die Kinder; fast alle hatten am Körper eiternde Wunden, an denen Fliegen klebten: Hungerödeme.
Eine Frau kauerte abseits im Sand; sie hielt ein kleines Kind auf den Knien. Der Kopf des Kindes, kaum größer als ein Granatapfel, schaute aus den Falten eines Schals, der vor Schmutz starrte. Ich sah im Vorübergehen, daß es eine Hasenscharte hatte. Doch schon wandte sich die Frau ab. Mit langsamer, wohlüberlegter Bewegung zog sie den schmutzigen Tuchfetzen über ihr Kinn. Sakina schritt ruhig an der Frau vorbei. Mein Herz zog sich schmerzvoll zusammen. Verseuchtes Wasser? Auch hier? Wasser war kostbarer als Gold. Ein vergiftetes Sickerloch mochte die Gesundheit von Mensch und Tier bedrohen, den Tuareg blieb jedoch keine Wahl: Sie mußten es darauf ankommen lassen.
Ohne meine Hand loszulassen, führte mich Sakina zu einer Seriba, vor der eine Strohmatte als Windschutz aufgestellt war. Die Kochstelle befand sich im Freien, unter einem dürftigen, durch Pfähle abgestützten Vordach. Ein alter Schwarzer, die Gandura zusammengerollt auf seinen mageren Schultern, zerstieß Hirse in einem hölzernen Mörser. Ein kahlgeschorener Junge blies in die Herdglut. Ich sah ein paar Töpfe, Holzteller und Holzplatten, ein Mehlsieb aus Grasfasern. An einem Pfahl waren Lederschläuche
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