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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Körper trugen. Und die Sieger mußten den Besiegten genügend Wasser und Nahrung zurücklassen, so daß sie den nächsten Brunnen erreichen konnten.«
    »Gab es kein Blutvergießen dabei?«
    »Es kam vor, daß man einander umbrachte, aber das entfesselte keinen besonderen Sturm. Wir sind Hitzköpfe, wie du weißt.
    Gewisse Stämme streiten schon seit Urzeiten. Aber im Prinzip ging es mehr darum, Überlegenheit zu zeigen. Die Taitok waren Meister darin«, setzte er augenzwinkernd hinzu, was unter den Anwesenden neues Gelächter auslöste. »Unser Problem war«, sagte Elias spöttisch, »daß die arabischen Händler wenig Neigung zeigten, sich den Gesetzen des Rezzus zu beugen. Das brachte uns in Verruf.
    Plündern war für uns ein Spiel. Die Araber verstanden das nicht.«
    »Das kann ich mir lebhaft vorstellen.«
    Hannon preßte die mageren Füße in den Sand und ließ einen schrillen Zungenlaut hören, der wie ein Jauchzer klang.
    »Ach«, rief er, hingerissen durch die Erinnerungen, »ein Rezzu war doch etwas Wunderbares! Und ihn richtig zu planen, sei eine Sache der Erfahrung. Wer kein Mehari hatte, erbat sich das Reittier von einem Freund. Danach mußte er die Beute mit ihm teilen. Fand das Mehari den Tod, verlor der Besitzer den Einsatz und ging leer aus.«
    »Verarmter Schwertadel, da haben wir es«, sagte ich lachend zu Elias.
    Sakina schüttelte den Kopf, ebenfalls lachend.
    »Mit den Taten der Vorfahren läßt sich gut prahlen.«
    Hannon, nicht im geringsten beleidigt, ließ einen zustimmenden Grunzlaut hören.
    »Ich war jung, von den schönsten Jahren habe ich nur die Hälfte gesehen. Aber mein erster Rezzu hat mich zum Mann gemacht.
    322
    Unsere Feinde hier sind keine Männer. Sie wissen nichts von Ehre.
    Ihre Gesichter sind verzerrt von der Bemühung, wie ehrbare Männer auszusehen. Sie sehen häßlich dabei aus.«
    Seine Stimmung war plötzlich umgeschlagen. Hannon hielt die Augen auf mich gerichtet; zwischen den Falten seines Schesch waren sie nur schwarze Schlitze.
    »Wir hassen es zu sein, wo andere sind, denn wo andere sind, herrschen Gesetze, die uns nicht gefallen. Wir sind wie Vögel mit einem gebrochenen Flügel. Das ist eine üble Sache: Zum Fliegen brauchen wir zwei Flügel. Sonst schluckt uns der Staub, und unsere Schwerter rosten. Es tut nicht gut, so müde zu sein und unsere Knochen knirschen zu hören.«
    »Alter, du redest zuviel«, unterbrach ihn Sakina mit ihrer singenden Stimme. »Es sind nicht mehr so viele Leute da wie am Anfang.
    Längst nicht mehr so viele. Aber was macht das schon? Unsere Ahnen besaßen die Freiheit als Geburtsrecht. Wir müssen uns anstrengen, um sie neu zu erwerben. Das ist mühsam. Du hast doch gehört, was sie in Tessalit im Radio gesagt haben, wir seien gefährlich und würden Widerstand leisten? Wir sollten uns jetzt etwas ganz Dramatisches ausdenken«, setzte sie hinzu, und alle lachten, am lautesten Hannon. Aus der Kanne goß Sakina den Tee in die Gläser. Sie drehte sich anmutig über ihre gekreuzten Beine und reichte mir das erste der drei Gläser. Ich wollte es nehmen. Doch Elias kam mir zuvor, nahm es Sakina höflich aus der Hand und reichte es mir. Unsere Hände berührten sich, und wir beide hielten das Glas einige Sekunden, bevor er die Hand zurückzog und sein ernster, heller Blick sich von mir abwandte. Eine Zeitlang tranken wir schweigend. Die Männer genossen den Tee, indem sie nach alter Sitte ihren Schleier mit zwei Fingern leicht nach oben schoben, so daß ihr Mund beim Trinken unsichtbar blieb. Es war eine Geste vollendeter Eleganz, wie man sie bei Tänzern bewundern mochte.
    Mein Schmerz, der vorhin kurz und heftig in mir aufgeflackert war, schien verflogen, und ich fragte mich, ob ich ihn mir nur eingebildet hatte. Der kleine kranke Junge war auf den Knien seiner Mutter eingeschlafen. Alles war friedlich. Warum bin ich so ruhig? dachte ich, während ich den süßen schäumenden Tee schlürfte. Die Menschen hier waren krank, ihre Armut war grenzenlos, und doch spürte ich Hoffnung. Vielleicht hing es damit zusammen, daß ich bei Elias war, seine feste, warme Schulter spürte. Aber ich spürte noch mehr, eine Art von Zittern. Und plötzlich wußte ich es ganz deutlich: 323
    Dies hier war meine Heimat, hier gehörte ich hin. Bald würde ich fortziehen, zurück in die Welt der Sachlichkeit, des Verstandes. Mir würde es nichts ausmachen, in jener Welt zu leben. Ich konnte nüchtern sein, mit Kleinkram arbeiten. Aber jene Welt war für mich

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