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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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bestickten Rand entlang.
    Olivia lachte leise.
    »Das ist Tintin. Sie wohnt in der Tasche. Meistens kommt sie nachts hervor. Ich lasse ihr immer etwas Eßbares in der Küche liegen. Für gewöhnlich zeigt sie sich nicht, wenn Besuch da ist. Sie spürt offenbar, daß du zur Familie gehörst.«
    Ich ging in mein Zimmer, zog meine Jacke aus und warf sie über einen Drahtbügel. Mein Zimmer? dachte ich. Früher vielleicht. Jetzt schon lange nicht mehr. Ich schaute mich um. Ein billiger Schrank, ein Schreibtisch, ein Bett, dessen Sprungfedern sich gesenkt hatten.
    An der Wand verblichene Poster – warum hatte Olivia sie nicht entfernt? Die Orte der Kindheit sollte man aus der Erinnerung streichen. Ich werde nicht hierbleiben, ich werde von hier weggehen, hatte ich damals gedacht. Es war mir gelungen. Jetzt sah ich die Dinge nicht mehr, wie ich sie früher gesehen hatte, jetzt empfand ich ein Unbehagen.
    Olivia hantierte in der Küche; sie wollte mir etwas zu essen machen.
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    Mit anderen Worten: Sie würde eine Fertigmahlzeit in den Ofen schieben. Bei Olivia herrschte eine irritierende Atmosphäre, so als sei sie nur eine Durchreisende; eine Nomadin. Ob es anders gewesen war, als mein Vater noch lebte? Ich wollte ihr diese Frage nicht stellen.
    Das Badezimmer hatte kein Fenster. Eine kleine Neonröhre über dem Waschbecken gab düsteres Licht. Der Spiegel war trüb, das Handtuch fadenscheinig. Meine Mutter benutzte eine billige Gesichtscreme aus dem Kaufhaus, ein billiges Shampoo, einen Kamm, eine Zahnbürste – fertig. Ich machte mich frisch, wusch mir die Hände und schüttelte sie trocken. Dann stand ich draußen vor Olivias Schlafzimmer. Die Tür war nur angelehnt. Ich zögerte kurz, stieß sie behutsam auf. Schon wieder diese Neugierde, die mich zu weit trieb. Ich stand auf der Schwelle, ohne das Zimmer zu betreten.
    Mein Herz klopfte. Es war, als besichtige ich unerlaubt eine irgendwie bekannte, aber dennoch fremde Welt. Sonnig war dieses Zimmer nie gewesen, nicht einmal in der warmen Jahreszeit; Olivia blickte auf den Hinterhof. Das Bett war gemacht, der braun und beige gestreifte Überwurf sorgfältig glattgezogen. Auf einem Stuhl lag ein verwaschener Morgenrock. Die goldgelbe Farbe der ausgetretenen algerischen Lederpantoffel auf dem abgenutzten Läufer war längst verblaßt. Ein Zimmer vermag das Wesen seines Besitzers zu enthüllen, ebenso wie die Inszenierung eines Films die Gedanken, das Weltbild der Hauptpersonen zum Ausdruck bringen kann. Doch dieses Zimmer verriet nichts davon, wie Olivia ihr Leben sah, nichts von ihren Zweifeln, ihrer Kritik, ihren Träumen. Eine geisterhafte Leere lag über dem Raum, eine Einsamkeit, die mir ans Herz rührte. Das einzige Auffallende war eine Art Bündel, das über dem Bett an einem Haken hing. Der Gegenstand – ein Musikinstrument der Tuareg – war mir vertraut; ich hatte jedoch den Namen vergessen. Das zerschlissene indigoblaue Tuch fiel beinahe in Fetzen. Es war an beiden Enden verknotet und bildete dazwischen ein Loch, aus dem der Hals des Instruments – eine Art kleiner Stock
    – ragte.
    Ich schloß leise die Tür und ging in die Küche, wo es nach Essen roch. Immerhin hatte sich Olivia die Mühe gemacht, Salat zu waschen. Sie stellte zwei Teller auf den Tisch, legte eine Tube Mayonnaise daneben.
    »Setz dich.«
    Die Fertigmahlzeit bestand aus Lammfleisch mit Tomaten, 46
    Kartoffeln und Zwiebeln, die ich nicht mochte. Ich sagte beiläufig:
    »Da hängt noch das alte Instrument über deinem Bett… ich sah es im Vorbeigehen. Wie heißt es doch gleich?«
    »Der Imzad.«
    »Ach ja, die Nomadengeige. Woraus ist sie gemacht?«
    Während sie sprach, füllte Olivia die Teller.
    »Aus einem ausgehöhlten Kürbis. Darüber wird eine Ziegenhaut gespannt und an zwei Stellen mit Schallöchern versehen.«
    »Und die Saiten?«
    »Es gibt nur eine, aus geflochtenen Pferde- oder Eselshaaren. Der Bogen ist klein und handlich und hat die Form eines Halbmondes.
    Man nimmt dafür Oleanderholz, das sehr biegsam ist.«
    »Ziemlich primitiv, findest du nicht auch?«
    Sie erwiderte kühl meinen Blick.
    »Das kommt auf den Standpunkt an. In Europa haben wir Ebenholz, um Geigen zu bauen. In der Wüste ist Holz da, um Feuer zu machen.
    Der Imzad war mal ein Kürbis, na und? Es ist immer dasselbe, die Musik zieht durch den Menschen hindurch in das Instrument ein.
    Eine Guadagnini oder ein Imzad, ich sehe da keinen Unterschied.«
    Ich nickte, wußte aber nichts zu antworten. Ihr Ton war

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