Wuestenmond
ziemlich schroff gewesen. Ich fühlte mich unsicher und aufdringlich.
Schließlich fragte ich:
»Hast du mal auf dem Imzad gespielt?«
Sie stand auf und holte eine Flasche Wein – keine besondere Sorte und schon angebrochen. Sie blieb neben dem Tisch an meiner Seite stehen, starrte die Gläser an, ohne sie zu füllen.
»Zu Anfang hätte ich es nicht gewagt. Aber Zara hatte von Chenani erfahren, daß ich musizierte. Eines Abends reichte sie mir ihren Imzad. Spiel! Ich schaute sie zögernd an. Sie lächelte mir zu und nickte. Ich nahm allen Mut zusammen und legte den Imzad in den angewinkelten Arm. Zara brachte mir mit ein paar Griffen bei, wie man den Bogen führt. Ich weiß noch, wie seltsam es mir vorkam.
Man brachte keine Noten zustande, der Fingersatz stimmte nicht, und auf dem Imzad ließ sich weder das Konzert Es-Dur von Mozart noch ein Capriccio von Paganini spielen…«
Ein kleines Lächeln glitt über ihre Lippen.
»Da improvisierte ich also.«
Sie füllte die Gläser, setzte sich wieder, ließ sich Zeit.
»Und?« fragte ich.
Sie zuckte ein wenig zusammen.
47
»Nichts. Ich spielte. Es war keine Frage der Technik. Musik ist keine Materie, merk dir das. Musik ist… etwas anderes. Und später gingen Chenani und ich…«
Sie stockte abermals. Ein flüchtiger Ausdruck von Schmerz glitt über ihr Gesicht. Sie legte ihre Gabel mit leisem Klirren auf den Tisch.
»Es tut mir leid…«, sagte ich gepreßt.
»Nein.«
Sie erwachte aus ihrer Erinnerung, schüttelte den Kopf.
»Das sind Dinge, die nur für mich eine Bedeutung haben. Und ich bin alt, und es ist schon lange vorbei.«
Der Wein war nicht gut, aber dieses eine Mal konnte ich ihn trinken.
»Und dein Imzad?« fragte ich. »Hast du ihn auf dem Markt gekauft?«
Sie warf mir einen merkwürdigen Blick zu, nachsichtig und spöttisch zugleich.
»Auf dem Markt findest du keinen Imzad, das ist so sicher, wie ich hier sitze. Kein Targuia gibt ihn aus der Hand.«
»Willst du damit sagen, daß du den Imzad selbst gebaut hast?«
Ihre Lider zuckten.
»Nein. Zara gab ihn mir, als ich Algerien verließ.«
Ich war nicht ganz sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte. »Aber du hast mir doch gerade erklärt…«
Sie legte beide Hände auf den Tisch. Ich sah, daß diese Hände leicht zitterten.
»Das war, als ich von Aoulef zurückkam.«
Sie gab freiwillig nichts preis, man mußte ihr jedes Wort entlocken.
»Olivia, ich kann dir nicht folgen…«
»Das war Zaras Art, mir zu helfen, verstehst du das nicht? Sie schenkte mir ihre Lebenskraft. Ich war geschwächt. Sie fürchtete, daß ich es nicht schaffen würde.«
Ich schluckte.
»Was hattest du denn?«
»Eine ganze Menge Krankheiten. Vor allem eine Lungenentzündung. «
»Ich weiß noch, du hattest einen schrecklichen Husten. Er wurde und wurde nicht besser.«
»Es dauerte fast ein Jahr, bis ich ihn loswurde. Ich lebte in ständiger Angst, daß ich deswegen meine Stelle verlieren würde. Was wäre dann aus uns geworden?«
Ihre Züge wurden starr. Sie sah mich geistesabwesend an.
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»Ach, diese Einsamkeit! Wenn du wüßtest… Ich konnte sie nicht ertragen. Chenani hatte versprochen, mich nicht zu verlassen… und doch hatte er es getan. Ich wartete auf ihn. Ich irrte durch alle Träume, ich suchte ihn. Mir war kalt, ich war allein, die Nächte nahmen kein Ende. Ich schlief tagsüber, das war ganz und gar nicht gut. Wann habe ich Zaras Geige zu mir genommen? Ich weiß es nicht mehr recht. Aber da hat er allmählich aufgehört.«
Ich sah sie fragend an. Sie nickte mir zu.
»Der Husten, meine ich. Ich entsinne mich, als ich hier zum erstenmal das Bündel aufschnürte. Der Stoff war mit Indigo gefärbt; damals war er noch ganz neu und hinterließ blaue Spuren auf meinen Handflächen. Die Tuareg finden das schön. Zara hatte die Geige gebaut, als sie dreizehn wurde. Die Verzierungen waren schon verblichen. Tastend wie eine Blinde rieb ich die Saite mit Harz ein, befestigte das Plektron. Ich konnte nicht sofort richtig mit ihm umgehen. Der Bogen kam mir steif vor. Selbst nach Jahren schien er noch Zaras Druck in sich zu haben. Jetzt hat er ihre Hand vergessen und kennt nur noch meine.«
Ich sagte:
»Ich habe dich nie spielen gehört.«
Sie sah mich an und schien mich dabei doch nicht wirklich wahrzunehmen.
»Ich wartete, bis du eingeschlafen warst. Die Tuareg sagen, eine Frau kann mit dem Imzad-Spiel alles zum Ausdruck bringen: Schmerz, Freude, Sehnsucht, Hoffnung. Alles, was sie nicht
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