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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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zwischen Generationen. Inzwischen ist die Wissenschaft so weit, daß sie sich nicht mehr scheut, den Kern der Mythen als Ausdruck einer objektiven Realität anzusehen. Es wurde auch langsam Zeit.«
    Erst jetzt wurde mir die besondere Art bewußt, in der sich Olivia ausdrückte. Gedanken und Gefühle hielt sie durchaus im Gleichgewicht; und doch vermochte ich in ihren Schilderungen keine Methode, keine Ordnung zu entdecken.
    »Chenani wollte ein Buch darüber schreiben«, fuhr sie fort. »Er trug den Gedanken mit sich herum, jahrelang. Es faszinierte ihn. Die Tuareg, verstehst du, sind Nachkommen von Menschen, von denen 51
    man nichts kennt außer ihren Inschriften, die heute noch kaum einer lesen kann, und ihren Felszeichnungen, welche noch größere Rätsel aufgeben. Chenani sagte, wir sind das älteste Volk der Erde. Er war ein Mensch, der verstehen wollte. Die Queste, du weißt schon, die Suche nach einem Ziel. Chenani war sehr beharrlich, das brachte ihn weiter als andere. Und dabei ließ ihn das Schicksal nur einen Augenblick lang leben. Chenani sah die Dinge nicht mit den Augen der abendländischen Romantik, oder die Überheblichkeit der ehemaligen Kolonialherren. Er ließ sich auch nicht von Religionen blenden. Darüber hinaus schmerzte es ihn, daß die Tuareg in Abhängigkeit von anderen Völkern, von Arabern, Franzosen und heute von Schwarzafrikanern leben mußten und müssen. Es verletzte seinen Stolz, er fühlte sich von seinen Wurzeln abgeschnitten. Es mag sein, daß die Tuareg eines Tages mit einem Schlag vom Erdboden verschwinden, ohne daß wir ahnen, wie und warum. Oder vielleicht werden sie neue, unbekannte Kräfte entfalten, und eine alte Kultur wird neu erwachen.« Lächelnd setzte Olivia hinzu: »Das kann manchmal vorkommen.«
    Ich war sehr erregt.
    »Ich sagte dir ja, ich will Felsbilder filmen. Das Gelände ist noch unerforscht.«
    Sie hob spöttisch die Brauen.
    »Unerforscht? Wer sagt das? Deine Medienleute? Die Schlucht liegt im Tefedest, etwa zweihundert Kilometer nordöstlich von Tamanrasset. Vom Udan aus sieht man die Stelle. Das Spaltengewirr ist gefährlich. Der wehende Sand kann innerhalb weniger Minuten jede Orientierung zerstören. Kannst ebensogut beginnen, im Kreis herumzulaufen.«
    Olivia wurde lebhaft, erhob sich, setzte Teewasser auf.
    Ich dachte, sie wird mich immer in Erstaunen bringen.
    »Woher weißt du das?«
    Sie lächelte geringschätzig über ihre Schulter hinweg. »Wir Menschen bewohnen nur ein Fünftel der Erdoberfläche und bilden uns ein, alles zu kennen. Das ganze Hoggar-Gebirge ist von Schluchten durchzogen. Sie sind einer starken Erosion ausgesetzt. Es kommt oft vor, daß sie versanden und für Jahrzehnte, Jahrhunderte verborgen bleiben, bis der Wind sie wieder freilegt. Erscheinen und Verschwinden gehören zur Sahara wie Tag und Nacht. Allerdings hat der Udan für die Tuareg eine besondere Bedeutung.«
    Das Wasser kochte. Ich ging zum Herd.
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    »Sprich, während ich Tee mache.«
    Sie nickte.
    »Die Dose ist oben im Schrank.«
    Ich streute eine Mischung von Teeblättern in zwei Tassen, brühte den Tee auf.
    »In arabischer Sprache«, sagte Olivia, »trägt der Berg den Namen Garet El Djenun – Geisterberg. Es ist eine merkwürdige Gegend, mußt du wissen. Millionen Tonnen von Staub sind immer in der Luft. Es sieht aus, als wäre der Udan hinter Wolken verborgen.«
    Ein leichter Schauer überlief mich.
    »Ich habe die Beschreibung bei Herodot nachgelesen.«
    Sie schmunzelte.
    »Seit wann interessiert dich der alte Herodot? Er bereiste ganz Afrika, als Grieche bereitete ihm die Welt kein Kopfzerbrechen. Du fragst dich vielleicht, wie authentisch seine ›Historien‹ hinsichtlich Geschichte und Geographie sind. Wenn er etwas aufschrieb, hatte er selten eine eigene Meinung dazu. Es war ihm nicht wichtig zu urteilen, sondern zu beschreiben. Das macht ihn glaubwürdig.
    Spätere Chronisten unterdrückten im Zweifelsfall alles, für das sie keine Erklärung fanden.«
    »Und die Felsgravuren?« fragte ich.
    Olivia trank schlürfend ihren Tee.
    »Vom Udan aus bis zu der Schlucht, die ich meine, sind es keine zwanzig Kilometer. Das Problem sind die Sandstürme. Der Udan ist gefährlich, laß es dir gesagt sein. Manchmal verschwinden Leute in diesem Gebiet. Die Tuareg sagen, auf dem Gipfel wohnen Zauberinnen, überirdisch schön, die sie als Gefangene halten. Wer gezwungen wird, im Schutz der Felswände sein Lager aufzuschlagen, hört nachts Schreie und Waffengeklirr.

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