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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Mekka, bestattet. Aflane zeigte mir Chenanis Grab. Man sah, daß es noch frisch war. Ein Marabut hatte Chenani gewaschen, ihm – wie es der Brauch vorschreibt – die 40
    Daumen zusammengebunden, und ihn dann in ein weißes Laken gewickelt. Sie hatten hier das Grab für ihn ausgehoben, hatten es mit Sand zugeschaufelt und darüber Steine und Äste gelegt. Die Äste waren dornig, zum Schutz vor wilden Tieren. Ein paar zerbrochene Tonscherben lagen noch herum. Die Scherben versinnbildlichen den Körper, der als Gefäß des Lebens diente und fortan nutzlos geworden ist. Voller Grauen schlug ich beide Hände vor den Mund.
    Aflane sah, daß ich einer Ohnmacht nahe war, und wollte mir beistehen. Doch ich sagte:
    ›Geh und laß mich allein.‹
    Er zögerte; dann tat er, was ich wünschte. Doch er ging nicht weit, hinter der Mauer blieb er stehen und wartete. Bald konnte ich ihn in der Dunkelheit nicht mehr sehen. Vereinzelte Sterne glitzerten am Himmel, während hinter den Bergkuppen ein purpurner Streifen verblaßte. Ein leichter Wind kam auf und ließ mich frösteln.
    Aber neben der Kälte war es eine seltsame, nie gekannte Erregung, die mich erschauern ließ. Wie aus weiter Ferne hörte ich Hunde bellen. Doch sie kamen nicht näher, sondern blieben zurück, ihr Bellen wurde schwächer und verstummte schließlich ganz. Ruhig stand ich da, hob den Kopf zum Himmel, wo ein Stern nach dem anderen jetzt sein Licht entfachte. Es war ein unentwegtes Flimmern, als ob jeder Stern den nächsten anzündete. Hoch über der Erde wehten Sandschleier; daher waren die Sterne nicht weiß, sondern bernsteingelb. Wie Flammen flackerten ihre Umrisse. Ich begann plötzlich zu zittern, meine Knie wurden weich. Ich hörte mein Herz schlagen. Nach einer Weile stellte ich ohne große Verwunderung fest, daß ich auf Chenanis Grab lag. Zwischen ihm und mir war nichts, nur ein paar Steine, eine dünne Schicht kalter Erde, die nach Verwesung roch. Ich krallte beide Hände in diese Erde, als klammerte ich mich an eine steile Felswand, und der bittere Staubgeschmack drang mir in Mund und Nase. Jedes schmerzhafte Ein- und Ausatmen verstärkte die Erkenntnis, daß Chenani und ich zusammengehörten, daß nichts und niemand uns trennen konnte.
    Sag, Chenani, was bedeutet es, tot zu sein? Wanderst du durch Schatten, wanderst du durch* Sonnenlicht? Schläfst du? Träumst du?
    Hast du dich verirrt? Bist du frei? Was quält dich? So sprach ich zu ihm. Und auf einmal… ich weiß es ganz genau… da wehte etwas von unten herauf, aus der Erde, langsam, langsam wie ein Gesang, der sich formt. Es mochte kein menschlicher Atem sein, der diesen Ton so halten konnte. Es begann, hielt an, verstummte. Ich flüsterte 41
    Chenanis Namen, und da hörte ich es besser. Ich hörte es ganz deutlich…«
    Unvermittelt brach sie ab. Ich starrte sie an. Gänsehaut überlief mich.
    »Wen hörtest du, Olivia?«
    Ihre Hand fuhr an die Schläfe. Sie schloß die Augen, seufzte tief.
    »Das ist nun lange her…«
    »Olivia!«
    Sie hob den Zeigefinger, wie um etwas klarzustellen. Es war eine sehr merkwürdige Geste.
    »Denkbar ist, daß sich in dieser Nacht etwas ereignet hat.«
    42

5. Kapitel
    I n Olivias Wohnung gab es kaum etwas, das an die Wüste erinnerte, außer vielleicht eine Kargheit in der Einrichtung. Früher war mir das nie aufgefallen, ich bemerkte es erst nach meiner Ehe mit Henri. Vor den Fenstern hingen helle Vorhänge aus Baumwolle. Die Wände waren mit Kalk geweißt, für Tapeten hatte Olivia nichts übrig. Es gab zwei Korbstühle und eine Regalwand voller Bücher. Die Stehlampe und der Klapptisch, der als Arbeits- und Eßtisch zugleich diente, waren neu, während das alte Notenpult noch von den Großeltern stammte. Auf dem zerkratzten Parkettboden lagen zwei zerschlissene Teppiche aus dem M’zab. Kein Bild schmückte die Wände, nur ein billiger Kalender hing dort, sowie eine gewaltige, schlauchartige Tasche aus senfgelb, purpurn und türkis gefärbtem Leder. Sie war mit langen Fransen verziert und mit einem eigenartig gearbeiteten kupfernen Schloß versehen. Ich wußte, daß die Frauen der Tuareg in solchen Taschen ihre persönliche Habe, Kleider und Schmuck verwahrten. Sie dienten den Nomaden als Schrank, denn richtige Schränke gab es in der holzarmen Zone nicht. So lange ich denken konnte, war diese Tasche bei uns gewesen. Nach so vielen Jahren war das Leder an einigen Stellen aufgeplatzt, aber die Farben hatten nichts von ihrer Leuchtkraft verloren.
    »Du

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