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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Kleine Lichtblitze dringen aus der Finsternis, Phantome schleichen am Fuß der Felsen entlang, flattern, keuchen, pfeifen und schnattern. Der Spuk verstummt bei Tagesanbruch, aber sobald die Sonne aufgeht, sieht man merkwürdige Spuren im Sand. Das jedenfalls sagen die Tuareg. Sie kleiden ihre Erzählungen in wunderschöne Worte.«
    »Sie haben viel Phantasie, denke ich.«
    Olivia erwiderte meinen Blick über den Rand der Tasse, nickte und trank einen Schluck Tee.
    »Sie sind keine aufgeklärten, sondern schöpferische Geister.«
    Der schöne, echte Klang in ihrer Stimme machte es mir schwer, meine eigenen Gedanken in Worte zu fassen.
    53
    »Vielleicht ist es der Wind«, murmelte ich, »nur der Wind…«
    Ihre Augen schienen ins Leere zu blicken.
    »Der Wind? Ja, das mag sein. Er ist ein bißchen unheimlich, finde ich. Er ist angefüllt mit Träumen, darin liegt sein Geheimnis. Und in der Wüste verwandelt er die Felsen in Sand.«
    Ich holte tief Luft.
    »Warum gehst du nicht wieder zurück?«
    Sie zuckte zusammen, als wache sie plötzlich auf.
    »Wohin, nach Algerien?«
    »Du bist noch gut in Form. Du könntest etwas unternehmen. Du sprichst Tamahaq, du kennst so viele Leute. Und die Wüste, die liebtest du doch…«
    Sie schüttelte den Kopf so heftig, daß ein Haar auf das Wachstuch fiel.
    »Nein, das ist vorbei.«
    »Du könntest mal darüber nachdenken.«
    »Hör auf, es hat keinen Sinn.«
    Ihre Stimme wurde zunehmend erregter. Ich zuckte die Achseln.
    »Statt hier deine Zeit zu vertrödeln…«
    Ihre kleinen Hände zitterten. Sie gab ihrer Tasse einen Schubs, daß sie über den Tisch rutschte.
    »Halt die Klappe, Tamara! Wir reden nicht mehr davon.«
    Ich gab es auf.
    »Ich kann nichts für dich tun, Olivia.«
    »Warum solltest du?« erwiderte sie kalt.
    Ich haßte dieses Unbestimmte, Nichtgesagte, das irgendwie in der Luft hängen blieb. Aber Olivia hatte, wie immer, das letzte Wort.
    In dieser Nacht lag ich lange wach. Was mußte mein Vater für ein Mann gewesen sein, daß ihm Olivia noch dreißig Jahre nach seinem Tod auf eine wirre, eigentümliche Art die Treue hielt? Mit Mühe erinnerte ich mich daran, daß sie gelegentliche Männerbekanntschaften hatte. Und gleichzeitig blieb sie völlig in ihrer eigenen Welt. Es war eine gewaltige Leidenschaft, ein phantastisches Luftschloß, was sie mit der Vergangenheit verband.
    Und trotzdem – oder gerade deswegen – wirkte ihr Wesen beständig.
    Die Jahrzehnte hatten ihre Kraft nur gestärkt, sie unerschütterlich gemacht. Und während ich so dachte, wurde mir bewußt, daß ich mir nichts sehnlicher wünschte, als in einen unendlich tiefen Schlaf zu fallen, ganz in die Dunkelheit der Saharanacht einzutauchen, in ein Land der Träume, das in meiner Vorstellung grenzenlos war.
    54
    Ich schlief ein; die Stunden vergingen, und ich träumte von der Wüste. Das war seit Jahren nicht mehr vorgekommen. In meinem Traum waren die Dünen glasklar, mit einem blaumetallenen Glanz.
    In der Ferne stand unbeweglich eine schwarze Säule. Ich wanderte auf die Säule zu, hielt meine Augen unverwandt auf sie gerichtet. Ich wußte, daß ich sie um jeden Preis erreichen mußte. Mit einem Mal sah ich, daß es gar keine Säule war, sondern eine menschliche Gestalt, eine Frau.
    Sie war von Kopf bis Fuß in den Tesernest, den indigoblauen Schleier der Tuaregfrauen, gehüllt. Nur ihr Gesicht war frei geblieben. Dieses Gesicht war oval, klar und einfach in seinen Umrissen. Die Brauen waren tiefschwarz und bis zur Nasenwurzel nachgezogen, wie es dem Schönheitsideal der Tuareg entsprach. Auf den Wangen, unterhalb der Augen, leuchteten kleine gelbe Tupfer.
    Ihre Lippen strahlen in Indigoblau; die außergewöhnliche Farbe, durch die das natürliche Rot des Mundes schimmerte, verlieh ihnen die Leuchtkraft einer purpurnen Nelke. Nie hatte ich eine schöner geschminkte Frau gesehen. Ich kannte sie, ohne zu wissen, wie sie hieß. Ihre Augen blickten mich unverwandt an, sandten mir aus ihrer Tiefe eine Botschaft, die ich nicht verstand. Und dann bewegte sich die Frau, winkte mir zu. Im Traum hörte ich mich sprechen. Ich fragte: »Wer bist du?« – und wachte auf.
    Mein Herz hämmerte, und ich hatte schrecklichen Durst. Tastend stand ich im Dunkeln auf, suchte den Weg zum Badezimmer, trank Wasser aus dem Zahnputzglas. Ich zog die Toilettenspülung, legte mich wieder ins Bett. Ich hatte ziemlich viel Lärm gemacht; ob Olivia wach geworden war, konnte ich nicht sagen. Immer noch verspürte ich dieses

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