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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Wiedersehen wollen, oder die Veränderungen akzeptieren. Ich wußte, daß meine Sehnsüchte sich nicht erfüllen würden.
    Wir flogen. Im Flugzeug streikte die Klimaanlage, die Nachmittagssonne schien prall durch die Scheiben, die Hitze war unerträglich. Die Felswände der Küste leuchteten orangerot; hinter schräg aufgerichteten Kränen, Schornsteinen und Backsteinhäusern lagen Schiffe wie lange, schmale Bleistifte in den Becken. An den Hügeln klebten neue Wohnblöcke, einförmige Keksdosen, unschön und bereits verkommen. Algiers Straßen, Treppen und Gassengewirr erstickten im Netz wuchernder Elendsviertel. Viele zehntausend Menschen hausten dort in Hütten aus Wellblech, Brettern und Teerpappe; es gab keine Kanalisation, kein Wasser, keine sanitären Einrichtungen.
    »Die Unabhängigkeit, die Revolution, das ganze Drum und Dran, was hat das schon gebracht, außer nobel klingenden Worten?« Thuy saß jetzt neben mir und sinnierte laut vor sich hin. »Junge Staaten machen es nicht besser als alte Kolonialmächte, sind ebenso scheinheilig, profitgierig und korrupt. Der nächste Aufstand wird ein Aufstand der Armen sein, gegen Wissenschaft, Technik und Reichtum.«
    59
    Thuys Mandelaugen blickten düster in eine Zukunft, die sie mißbilligte. Sie war in Saigon im Convent des Oiseaux erzogen worden, einem vornehmen katholischem Mädcheninternat. Außer einigen Begriffen, die so überholt waren wie Strapse, hatten ihr die Nonnen ein ausgeprägtes soziales Gewissen eingepaukt. Thuy kombinierte Christus mit den Problemen der Obdachlosen, der Betreuung Strafentlassener und der Streikbewegung der Krankenschwestern.
    »Dann wird wohl das eintreffen«, entgegnete ich, »was deine Nonnen damals als Jüngstes Gericht bezeichneten.«
    »Mich würde es freuen«, sagte Thuy.
    In großer Entfernung glitt die Welt unter uns dahin. Zuerst orangefarbene Berge, mit dunkelgrünen Wäldern gesprenkelt, dann eine steinige Hochebene, von ausgetrockneten Flußarmen durchzogen. Die Algerier nannten die Gegend Chebka, das Netz.
    »Sieht aus wie eine Röntgenaufnahme des Blutkreislaufs«, meinte Serge, der neben uns im Gang stand. Wir hatten einen Direktflug gebucht und flogen über Ghardaia, ohne zu landen. Ghardaia gehörte zum M’zab, einer Ansammlung von fünf Oasenstädten. Die Pentapolis wurde vor tausend Jahren von islamischen Flüchtlingen der Sekte der Ibadhiten in einem Zeitraum von fünfzig Jahren erbaut.
    Der Schwarm weißgekalkter Häuser folgte genau den Windungen des Hochtals. Wie schlanke, himmelwärts gerichtete Finger beherrschten hellrote Minarette jede Stadt. Bedeutende Architekten hatten die Bauweise gerühmt und sich von ihr beeinflussen lassen; aber der moderne Anklang war sozusagen unfreiwillig. Das Leben der Bevölkerung spielte sich hinter Mauern ab; Tag für Tag, seit vielen Jahrhunderten. Vielleicht glaubten die Mozabiten, ihre Seele auf diese Weise zu schützen. Eine solche Ansicht barg nichts als Schrecken für mich. Hohe Mauern, verschlossene Fensterläden?
    Kein Aufbruch zu fernen Horizonten? Wie sollte der Mensch den Anblick der Sterne in sich aufnehmen? Oh, das erzwungene Schweigen so vieler namenloser Gefangener! Der bloße Gedanke daran lähmte mich. Meine Kehle wurde trocken. Ich sagte zu Thuy:
    »Ich würde hier den Verstand verlieren.«
    Die Maschine flog weiter. Das weiße Gefängnis mit seiner Last der Jahrhunderte verschwand in einer Bodensenkung. Die Gereiztheit wich; ich fühlte mich von dem Alptraum befreit.
    Vom Flugzeug aus gesehen bildete die Begrenzung der Bergkuppen nie eine Barriere. Dahinter war eine Weite, die sich in rosafarbenem 60
    Sonnendunst verlor. Die Wüste schien ihren Kreis nach allen Richtungen zu ziehen. Farblos, fast substanzlos flimmerte der Horizont. Mir gefiel diese Kargheit. Keine Grenzen, keine Mauern, und mir war, als öffneten sich für mich unsichtbare Tore.
    Enrique tippte mir auf die Schulter.
    »Da unten, Hassi Messaoud! Siehst du die Bohrtürme?«
    Ich neigte mich zum Fenster hin. Früher brannten, über eine Entfernung von gut hundert Kilometern hin sichtbar, riesige Flammen über schwarzen Rauchsäulen.
    Heute führten Pipelines das Erdgas nordwärts zur Küste. Die alten Bohrtürme reckten ihre Gerippe gespenstisch in den Himmel.
    Enrique erzählte in seiner singenden Sprechweise:
    »Vor einigen Jahren sollte ich die Bohranlagen filmen, das Fernsehen plante eine Sendung darüber. Fremden war der Zutritt verboten. Aber ihr kennt das ja, Bestechung bewegt die

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