Wuestenmond
regelmäßigen Stößen. Langsam und bleischwer überkam mich ein Gefühl der Unwirklichkeit. Wir schwebten über Türme, Zacken und Grate, über Spalten und Firne. Die Abhänge fielen und stiegen zu Bergketten hinauf; jeder Felsblock, jeder Buckel war vom Wind der Jahrtausende blankgefegt worden. Schwindelerregende Basaltpfeiler, Überreste längst erloschener Vulkane, ragten wie Säulen zum Himmel empor. Das waren Riesen, die jede Zeitrechnung zunichte machten, und ich war darauf nicht vorbereitet, der Anblick traf mich wie ein Schock. Durch dünne Luftschichten prallte die Sonne gegen die Gipfel, schuf Trugbilder, färbte jeden Berg anders: purpurfarben den einen, goldgelb, metallblau, blutrot die anderen. Ein einzelner Fels leuchtete rosa, während sich das Gebirge gegenüber in tiefem Schwarz verlor. Der gewaltige Himmelsraum dahinter war von wolkenlosem Blau.
Hier bin ich geboren, dachte ich. Hier haben meine Vorfahren gelebt, und irgendwo in dieser Landschaft ist mein Vater begraben.
Und dann beschrieb das Flugzeug eine scharfe Kurve. Eine breit verstreute Ansammlung weißer und rötlicher Flachbauten kam in Sicht, und dazwischen die dunkelgrünen Flecken kleiner Gärten. Die Maschine senkte sich ruckartig, ich verlor die Stadt aus den Augen.
Die Landepiste kam näher, die Triebwerke heulten auf. Ein heftiger Stoß, ein Rumpeln, die Räder berührten die Landepiste. Die DC 9
rollte eine Weile über den Sand und stand endlich still. Ich warf einen Blick nach draußen und sah nichts. Dunkelrote Staubwolken verhüllten die Sonne. Die Welt nahm die Farbe glühender Asche an.
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7. Kapitel
I ch bin da. Die Worte kamen mir sinnlos vor. Wir waren fünf Menschen, durch Verträge gebunden. Es galt, einen Film zu drehen.
Wir hatten dafür zu sorgen, daß alles reibungslos lief. Zwei Wochen waren uns gestattet worden, die Spesen mußten reichen. Für seelische Komplikationen blieb keine Zeit.
Wir verließen das Flugzeug. Ein heftiger Wind wehte. Wir kniffen die Augen zu, Sandkörnchen trafen schmerzhaft unsere Haut. Wir folgten den anderen Fluggästen, die auf ein weißgetünchtes, von einer Kuppel gekröntes Gebäude zusteuerten. Auch hier wieder die finsteren Beamten, die alle Passagiere mit Argusaugen musterten.
Jeder Paß wurde mit feuchten Fingern durchgeblättert, jedes Foto mit seinem Eigentümer verglichen. Wir mußten das Material vorzeigen, Taschen und Metallkoffer wurden eingehend untersucht. Die Einfuhr von Filmmaterial war scharfen Kontrollen unterworfen; aber wir waren geduldig. Geduld bringt mehr als Schimpfen und Toben; außerdem waren wir müde, das machte uns gelassen.
Vor dem Flughafengelände wartete ein Mini-Bus, auf dem in arabischer und – Allah sei gedankt – auch französischer Sprache Hotel Tahat zu lesen war. Das Reisebüro hatte für uns dort die Zimmer reserviert. Der Fahrer, ein freundlicher Schwarzer, half uns, das Gepäck im Kofferraum zu verstauen. Als wir losfuhren, war es bereits stockdunkel. In Minutenschnelle hatte die afrikanische Nacht von der Landschaft Besitz ergriffen. Nur das Licht vereinzelter Scheinwerfer huschte über Felsblöcke und sandiges Geröll. Auch in der Ortschaft selbst schien die Beleuchtung vorwiegend aus dem grellen Blitzen der Scheinwerfer zu bestehen; auf dem Boulevard Emir Abdelkader – die Hauptstraße von Tarn – kamen wir nur langsam vorwärts, eingekeilt in eine langsame Prozession von Verkehrsmitteln, Landrovern und Lastwagen, die mit der hierorts üblichen Nonchalance ohne Warnung nach rechts oder links ausscherten. Hier war ich schon, dachte ich – und erkannte nichts wieder. Vor meinen müden Augen entstanden Eindrücke wie in Zeitlupe: Ich entsann mich ruhiger Abende, verlassener Straßen. In meiner Erinnerung war die Luft kristallklar, der rosafarbene Sand verschluckte das Geräusch der Schritte. Weißgekleidete Menschen standen im Freien, genossen die Abendkühle und unterhielten sich.
Vor meinen inneren Augen zog eine Vision vorbei: ein Mehari, weiß 64
wie Milch, trat aus der Dämmerung, kam langsam schaukelnd näher.
Es trug einen Sattel aus scharlachrotem Leder mit einem kreuzförmigen Handgriff. Ein Targui führte es. Das ledergeflochtene Leitseil, das durch die Nüstern des Tieres gezogen war, war um seinen Arm geschlungen. Seine blauvioletten Gewänder funkelten wie Erz. Hatte ich das Bild einst gesehen oder nur erträumt? Ja, die Zeiten hatten sich geändert. Jetzt verlief die große transsaharische Verkehrsader unweit der
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