Wuestenmond
Stadt. Wagen aus allen afrikanischen Ländern machten in Tarn Station, ehe sie mit fauchenden Motoren aufbrachen in den Tschad, nach Kamerun und dann quer durch Afrika, zwölftausend Kilometer weiter, bis zum Kap. Die Tamarisken mit ihren starken, weißgefleckten Stämmen entlang der Straßen waren längst gefällt worden: Der Verkehr brauchte Platz.
Die alten Krämerbuden waren noch da; hauptsächlich für Touristen, nahm ich an. Auf ein gewisses Lokalkolorit wollte man nicht verzichten. Hier und da hoben sich von den hellen Rechtecken offener Türen blau- und weißgekleidete Gestalten ab. Durch die Öffnungen sah man aufgestapelte Kisten und Kästen, dahinter grüngestrichene Wände. Kleider, Unterwäsche, Pantoffeln, Haushaltsgeräte hingen an einer Schnur über der Tür. Das alles wirkte wie eine Inszenierung, unecht und überholt. Als Filmemacherin sah ich keinen Nutzen in derartigen Bildern.
Endlich bremste der Mini-Bus, wir fuhren durch ein offenes Tor in einen großen, mit Kies bedeckten Innenhof. Das Hotel Tahat war im style saharien erbaut, als ein massiver Lehmklotz also, mit zinnenbewehrten Mauern. Roter Oleander und Asphodelussträucher blühten, gut gepflegte Zitrus- und Orangenbäumchen wuchsen in Töpfen. Na schön. Die Empfangshalle war mit Marmorfliesen ausgelegt, eine schwere lederne Polstergruppe gab dem Raum eine etwas langweilige Würde. Überdimensionale Kupferteller, alte Flinten, eine Takuba – das Langschwert der Tuareg –, zwei überkreuzte Speere und ein Leopardenfell, Brutstätte für Spinnen und Motten, schmückten die grüngetünchten Wände. Das Ganze sollte einen aufwendigen Eindruck machen, auf dem Tisch aber sah ich schmutzige Kaffeetassen, und in den kupfernen Spucknäpfen häuften sich Zigarettenkippen. Über der Rezeption hingen stark vergrößerte, fliegenverdreckte Aufnahmen berühmter Hotelgäste.
Die Paris-Dakar-Rallye stand hier offenbar hoch im Kurs. Der ganze Rallye-Troß posierte in Designer-Klamotten, Pilotenbrille und Tropenhelm inbegriffen, vor der flaggengeschmückten Hotelfront.
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Mein Zimmer im Erdgeschoß war groß, mit Kalk geweißt und ungeheizt, obwohl die Nächte eiskalt waren. Der Verputz bröckelte an vielen Stellen ab. Auf dem Bett lag eine dünne, braunweiß gestreifte Decke, und auf dem Boden ein Ziegenfell. Der kleine Tisch war mit Einlagen aus Perlmutt versehen, verblichene Farbfotos an der Wand zeigten eine Oase und eine Karawane. Das Fenster war zum Schutz gegen Insekten mit einem feinen Drahtnetz bespannt.
Ich zog die staubigen Vorhänge zu. Vor langer Zeit hatten Olivia und ich in einem kleinen, ziemlich verkommenen Hotel gewohnt; das Hotel gab es längst nicht mehr, aber der Geruch war mir noch gegenwärtig. Ich fand ihn sofort wieder, diesen Geruch nach Chlor, der in jedem Reinigungsmittel vorkam. Im Badezimmer tropfte der Wasserhahn; alle Rohre rumpelten und gurgelten, die gleiche Geräuschkulisse schallte aus sämtlichen Nebenzimmern. Ein Haar des vorherigen Hotelgastes klebte im Zahnputzglas, ein gebrauchtes Stück Seife trocknete vor sich hin. Ich packte meine Sachen aus; das Hotel hatten wir für die Dauer unseres Aufenthaltes gebucht, obwohl wir die Nächte zumeist in der Wüste verbringen würden.
Wir waren die einzigen Gäste im Restaurant. Ein Ventilator hing wie ein verstaubtes Rieseninsekt an der Decke. Kupferlampen mit bunten Glasfacetten verbreiteten schummriges Licht. An den Wänden die üblichen Kupferplatten und Zierwaffen. Aus der Bar nebenan drang gedämpfte Musik. Es roch nach kalter Asche. Ein paar Männer, dem Aussehen nach Geschäftsleute, schlürften undefinierbare Getränke, unterhielten sich sotto voce und warfen uns verstohlene Blicke zu.
Einer hatte einen Burnus an und wirkte auf seinem Barhocker seltsam fehl am Platz. Die sparsame Beleuchtung, die Vernachlässigung, die untätig herumstehenden Kellner verbreiteten eine merkwürdige, beklemmende Stimmung. »Nachsaison«, faßte es Thuy zusammen. Ihre Eltern führten ein gutgehendes Restaurant in Annecy. Ich nickte.
»Die Islamisten machen mit ihren Messern zuviel Hokuspokus. Die Touristen bleiben aus.«
Der Kellner schlenderte herbei, stellte einen Korb mit Fladenbrot und eine Flasche sogenanntes Mineralwasser auf den Tisch. Wir bestellten eine stark gewürzte Chorba-Suppe, danach Lammkoteletts mit Pommes frites und Gemüse. Wir warteten auf das Essen, schauten uns das Kartenmaterial an, besprachen den morgigen Tag.
Das Essen kam und kam nicht, der Koch
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