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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schwerste Gesetzeslast. Kurzum, die Sonatrac – die staatliche algerische Erdölgesellschaft – kooperierte. Wir durften auf die Bohrstelle zweiundfünfzig, auf der Plattform wurde noch gearbeitet. Nirgends in Algerien ist der Verdienst so gut wie draußen im Bled auf den Bohrstellen. Aber sie stellen nur Unverheiratete an. Die Petroliers leben in der Hölle, die sie nur mit Hilfe von Porno-Videos ertragen.
    Wir kamen zu viert. Keine Frau, die Kerle wären verrückt geworden.
    Das nächste Bordell war sechshundert Kilometer weit entfernt.
    Immerhin bereiteten sie uns einen grandiosen Empfang. Am letzten Tag schleppten sie uns in die Küchenbaracke, rissen alle Kühlschranktüren auf. Da lagerten reihenweise Brathühner, mehrere Viertel von Kälbern, Unmengen von Thunfisch, Dosenfleisch, dazu Bier, Wein, Sekt und Kaviar auf Eis. ›Meine Herren, bedienen Sie sich!‹«
    Enrique machte eine Pause. Er hatte sehr schöne, lustige Augen.
    »Und?« fragte ich. »Hat der Kaviar geschmeckt?«
    »Wie im Grand-Hotel.« Enrique seufzte. »Die Rückfahrt war unvergeßlich. Alle zehn Minuten eine Vollbremsung. Und dann zwei Sprünge an den Rand der Piste, mit einer Rolle Klopapier unter dem Arm.«
    Unser Gelächter schallte durch die Maschine; einige Passagiere sahen auf und lächelten. Ja, ich mochte meine Leute, Enrique, Thuy, Serge und auch Rocco. Die Anekdoten waren meistens dieselben, aber auch das gehörte dazu. Wortkarg waren wir nur bei der Arbeit.
    Inzwischen glitten Sandsteinberge unterhalb des Flugzeuges vorbei.
    61
    Eine Straße durchschnitt wie ein weißer Faden die Ebene, verlor sich im fernen Dunst. Es war ein Land voller Licht und Wind, das Reich der Fata Morgana. Mir kam der Name in den Sinn: Tassili n ’Ajer.
    Der Name bedeutet »Ebene der Flüsse«. Aber seit Jahrhunderten waren die Flüsse versiegt. Das Felsgestein barg Muschelabdrücke, der Sand versteinerte Baumstrünke, glasiert wie Achat. In Urzeiten hatten Wälder und Sümpfe das Gebiet bedeckt, doch das Vordringen der Wüste war unabwendbar. Jahr für Jahr gewann die Sahara mehr Raum. Woher kam diese sonderbare gefährliche Entwicklung? Der Mensch war nie der Meister seiner Umwelt, er beherrschte die Welt nie ganz, seine Ernährung war nie völlig gesichert. Daß er überleben wird, dachte ich, ist durch nichts bewiesen.
    Vom Flugzeug aus ging der Blick über Wegstunden, Tagesreisen.
    Bald wurden die Dünen zu schmalen Linien; eine schwarze Fläche überzog den Horizont, das Tademait rollte sich auf wie ein glitzernder Teppich. Eine Steinwüste, hitzedurchglüht und mörderisch; jeder Kiesel, von der Sonne auf der Lichtseite schwarz gebrannt, funkelte wie Pechkohle. Man hatte versucht, dem Tademait den Schrecken zu nehmen, indem man eine Asphaltstraße baute. Aber der Teer verflüssigte sich, die Straßendecke wurde ausgewalzt wie ein Kuchenteig, und die Fahrer erlebten, wie ihre Reifen in Fetzen flogen. Für viele war die Strecke das Ende der Welt oder zumindest das Ende der Fahrt. Ich vermeinte, Olivias amüsierte Stimme zu hören:
    »Am Südhang saust die Straße wie ein fliegendes Lasso talabwärts, zweihundert Meter in die Tiefe. Unten findest du den größten Autofriedhof der Sahara. Dort liegen Dutzende von abgestürzten Wagen, Motorrädern und Lkws. Und vermutlich auch einige menschliche Gebeine.«
    In großer Höhe zog das Flugzeug ungehindert seine Bahn, die Motoren brummten gleichmäßig. Licht funkelte auf den Flanken der Mouydir-Berge. Die Felswände der Arak-Schlucht glänzten wie schwarze Spiegel. Die Straße wand sich durch den Einschnitt. Hier war alles gewaltig, überdimensional, für Kleinigkeiten hatte die Natur nichts übrig. Ich sah auf die Uhr. Noch eine halbe Flugstunde, und wir würden das Hoggar-Gebirge sehen. Ich lehnte mich zurück und schloß die Augen. Durch meine Erinnerung zuckte ein Name: Ahaggar n’-Atakor nannten die Ihaggaren ihr Heimatgebiet. Ahaggar n’ Atakor, aus dem Meer geboren, dem Sande vermählt. Eine Insel im Herzen der Sahara. Vaters Heimat. Auch meine Heimat? Ein 62
    Neubeginn? Wie kam ich dazu, so etwas zu denken? Ich war müde, ich hatte Kopfschmerzen. Zu wenig Bewegung, die künstliche Luft, der Geruch nach Treibstoff. Wer war ich, und was tat ich im Grunde? War das Filmemachen wirklich meine Aufgabe?
    Ein Gongsignal ertönte. Die Schrift über der Cockpittür leuchtete auf. Wir schnallten uns an. Die Maschine senkte ihre Nase, verlor allmählich an Höhe. Der Rumpf erzitterte unter den

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