Wuestenmond
nieder, schichtet das Holz auf und bläst in die Glut, um die Flammen anzufachen. Unterdessen hat Matali die Teppiche entrollt, die Kissen aufgestapelt. Im Königslager gibt es noch Betten mit einem Schilfrost. Matali breitet sorgsam Decken darüber, legt ein weiches, schön besticktes Lederkissen auf.
Bald flackert das Feuer; über die Wände der Seriba huschen lange Schatten. Schon ist es behaglich warm. Wenn sich in den Zwischenräumen der Strohwände der Wind verfängt, entsteht ein Geräusch wie das Schwirren von Insektenflügeln. Ich höre Olivias Stimme, in der immer ein Lachen mitschwingt. »Die Kleine ist 74
todmüde.« Matali streckt die Hände aus. Ich gleite aus Olivias Armen in die seinen. Er trägt mich vorsichtig an sich gedrückt, legt mich aufs Bett. Im Halbschlaf spüre ich seine Hände, die behutsam meinen Nacken heben, das Kissen unter meinen Kopf schieben, die Decken über mich breiten. Die Decken kratzen ein wenig und riechen nach Sand. Ich spüre ihr Gewicht und die Wärme, die sie geben. Die Flammen knistern, es duftet nach Holzkohle. Ich schlafe ein…
Jetzt stand er vor mir, Matali, wie ein Bild von früher, betrachtete mich aus entzündeten Augen. Sein Geist suchte seinen Weg im dunklen Land der Erinnerung, bis er in dieser Fremden das Kind von früher entdeckte. Da belebte sich sein trüber Blick, zeigte Freude, Schmerz und Erschütterung. Sein Atem ging rasselnd. Er hob eine unförmige, fast auberginefarbene Hand, hielt sie mir heftig zitternd entgegen. »Du, Tamara?« fragte er mit rauher Stimme. Sie klang wie das Rascheln des Windes im Röhricht.
Ich lächelte ihn an. Mein Herz klopfte stürmisch, ich brachte keinen Ton über die Lippen. Und da ich wußte, daß die Tuareg eine Hand weder ergreifen noch drücken, begnügte ich mich, die dargebotene Handfläche zu berühren. Sie fühlte sich hart und schwielig an. Die gelb verfärbten Nägel waren wulstig wie Hornhaut. Matali war ein Akli, ein Leibeigener, fast zwei Meter groß, Abkömmling jener im Sudan erbeuteten Sklaven, die seit mehreren Generationen im Dienst derselben Familie standen. Die algerische Regierung hatte die Leibeigenen befreit, aber viele fühlten sich ihrer Familie zugehörig, als seien sie in demselben Klan geboren. Ich entsann mich, daß Olivia gesagt hatte: »Matali ist ein alter Starrkopf und wickelt uns alle um den kleinen Finger. Er hat Aflane und Chenani zur Welt kommen sehen und sogar dir die Windeln gewechselt, also bilde dir ja nichts ein!«
Ich lächelte ihn an. Er neigte den gewaltigen Kopf.
»Ich dich gekannt als Baby. Du immer brav gewesen. Nie schreien.«
Er sprach jedes Wort mit größter Anstrengung. »Du jetzt kommen von Belgien?«
Ich holte tief Luft, fand mühsam meine Sprache wieder.
»Nein, von Frankreich. Ich… ich wohne in Paris. Ich habe Großmutter geschrieben, daß ich kommen würde. Hat sie den Brief nicht erhalten?«
»Brief angekommen. Aber Elias nicht da«, sagte Matali.
Ich nickte verstehend. Fremden wollte sie den Brief nicht zeigen; sie 75
wartete lieber Elias’ Rückkehr ab. Also war sie von meinem Kommen nicht unterrichtet.
»Es tut mir leid, daß ich unangemeldet komme«, sagte ich. »Ab morgen bin ich für ein paar Tage nicht da. Aber ich kann Zara bei meiner Rückkehr besuchen, wenn ihr das besser paßt.«
Matali legte seine unförmige Hand an die Brust.
»Hier dein Haus«, sagte er.
Ich trat hinter Matali in einen kleinen, sandigen Hof. Das Haus hatte ein Flachdach und offenbar keine Fenster. Der Türrahmen war blaugestrichen. Im Sand standen einige ausgetretene Sandalen.
Matali gab mir ein Zeichen zu warten. Er schlüpfte aus seinen Sandalen, kratzte leise an die angelehnte Tür und verschwand in der dunklen Öffnung. Ich sah mich um. Im Hof spendete ein verkrüppelter Feigenbaum spärlichen Schatten. An der Wand lehnten ein kleiner Mühlstein und zwei staubige Autoreifen. Zerschlissene Tücher, sorgfältig geflickt und ausgebessert, baumelten an einer Leine. Unter einem Vordach aus Zweigen zeigte ein Aschehaufen, daß hier gekocht wurde. Ich sah einige Töpfe und Schüsseln aus Plastik, eine Anzahl verbogene Blechlöffel, ein großes Sieb, eine kupferne Teekanne, ferner einen Holzmörser mit Stößel, um Hirse, Datteln und Fleisch zu zerstampfen. Ich wußte, daß man solche Holzmörser heute nur noch in Museen sieht. Aber wie armselig das alles wirkte, wie verkommen! Ich atmete schnell, fühlte meinen Herzschlag. Rückkehr – welch ein dummes Wort! Hier war
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