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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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nichts, was mich mit früher verband. Es war falsch, sich nach verlorenen Dingen zu sehnen. Ich war erfahren genug, um zu begreifen, daß Erinnerungen auf dem Grunde der Seele immer eine Ablagerung von Trauer hinterlassen. Nie würde ich den Zauber von einst, die verlorenen Bilder wiederfinden. Es würde und konnte nie wieder sein wie früher. An die Zukunft zu denken, war entschieden gesünder.
    Ich hörte ein Winseln und wandte mich um. Ein staubiger kleiner Hund kam schweifwedelnd aus dem Schatten. Er war sehr zutraulich, hatte den staksigen Schlendergang der Welpen. Mir kam Chittou in Erinnerung. Ich bückte mich und kraulte ihn hinter den Ohren, fest überzeugt, daß er Flöhe hatte. Da trat Matali wieder aus der Tür.
    »Du kommen.«
    Ich stieg aus meinen Turnschuhen und betrat in Socken einen düsteren Raum, in dem es nach Gips roch. An der Decke hing eine 76
    Glühbirne an einem Draht. Die Sonne sank; ein roter Lichtschein fiel schräg durch die Tür an die gegenüberliegende Wand, an der eine lederne Tasche hing, senfgelb, purpur und türkisfarben, mit Fransen verziert und mit einem kupfernen Schloß versehen. Mein Atem stockte. Sie war das identische Gegenstück zu der Tasche, die bei uns in Brüssel hing. Als sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, erblickte ich zwei Gestalten, die auf Kissen am Boden unterhalb der Tasche saßen. Beide waren von Kopf bis Fuß in schwarze Schleier gehüllt. Verlegen stand ich da, grüßte sozusagen ins Leere. Welche der beiden Frauen war Zara? Keine regte sich.
    Nur ihre schweren, röchelnden Atemzüge waren in der Stille zu hören. Olivia hatte gesagt, daß Zara Französisch sprach. Aber das war vor langer Zeit gewesen; schon möglich, dachte ich, daß sie jetzt völlig verkalkt ist. Sie mußte mindestens achtzig Jahre alt sein.
    Endlich bewegte sich eine der Gestalten. Eine Hand kam zwischen den Schleiern zum Vorschein, unglaublich zart und schmal, von knotigen Adern durchzogen.
    Die Fingernägel waren bis zum Nagelmond mit Henna rot gefärbt, und um das zierliche Handgelenk lag ein Armband aus schwarzem Horn.
    »Komm zu mir…«, flüsterte Zara.
    Ich kniete vor ihr auf dem Teppich nieder, ergriff ihre Hand. Zaras Haut fühlte sich heiß und trocken an, und ich sah, daß das mädchenhafte Gelenk verkrümmt war. Die dünnen, zitternden Finger streichelten zärtlich meine Handfläche.
    »Tamara…«
    Ihre Stimme war heiser und sanft, ihr Tonfall singend. Unter den Schleiern, die so verwaschen waren, daß sie fast grau schimmerten, hob und senkte sich ihre Brust. Ich versuchte ein Lächeln. Ich kam mir vor wie das kleine Kind, das ich in ihren Augen vielleicht noch war.
    »Matulid – wie geht es dir?« murmelte ich.
    Sie richtete sich unbeholfen auf. Der Schleier glitt zurück. Ich erblickte das Antlitz einer Frau, die einst sehr schön gewesen sein mußte. Der Knochenbau war ebenmäßig, die Nase klein und edel geformt. Ihre Brauen waren schwarz und liefen in Spitzen aus. Aber Kummer und Alter hatten ihre Haut verfärbt, das Kinn erschlaffen lassen. Die Augen waren matt, lagen in Höhlen. Ich bemerkte das Pulsieren an ihrem Hals. Der Körper war auf merkwürdige Weise zusammengesunken, die Knie angewinkelt und steif. In ihren 77
    dunklen Tüchern glich sie einer Schwalbe, die sich auf ihrer Reise nach Süden beide Flügel gebrochen hat. Sie roch nach Alter, Staub und abgetragenen Kleidern. Als ich die vorgeschriebenen Begrüßungsworte sprach, kniff sie die Augen zusammen; ihr Mund formte ein Lächeln, zitternd, am Rand der Tränen.
    »Elrer ras – immer nur gut«, kam die flüsternde Antwort.
    Das Lächeln ergriff ihre Augen, die plötzlich warm und lebendig aufleuchteten. Ich bemerkte die goldenen Funken, die in ihrer Tiefe spielten.
    »Ma d’ulan eddunet ennemf – Wie geht es den Deinen?« fragte ich.
    Die Worte kamen wieder; sie waren tief verschüttet gewesen in mir, aber vergessen hatte ich sie nicht.
    Zara wurde von einer Unruhe erfaßt und beugte sich zu mir vor. Fast schien es, daß meine Stimme eine Zauberkraft besaß, die sie aufrichtete.
    »Elrer ras. Matulit d’ asekelf – Wie war die Reise?«
    »Elrerras.«
    »Matulit d’udu? – Bist du müde?«
    »Elrer ras, tanemered – Es geht gut, danke.«
    Ich begrüßte auch die andere Frau, lang und ausführlich, wie es sich gehörte. Die alten Rituale hatten einen tieferen Sinn: Sie gaben den Menschen Zeit, einander einzuschätzen. Doch Zaras neuerwachte Kräfte schienen bereits verbraucht.

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