Wuestenmond
mit, Dinge, von denen wir dachten, daß wir sie benötigen. Und Dinge, von denen wir im voraus wußten, daß wir sie nie benötigen würden. Für alle Fälle? Ich ließ es gelten. Wie reisten denn die Tuareg? Sie kamen doch auch zum Ziel, irgendwie und irgendwann.
Die Sonne sank, aber noch war es hell. Ich sagte meinen Leuten, daß ich zu meiner Großmutter ging. Wenn ich nicht rechtzeitig zum Essen zurück sei, habe sie mich eben mit Beschlag belegt. Meine schnoddrige Redeweise verursachte mir ein schlechtes Gewissen.
Aber konnte man von einer Verwandten, die man kaum kannte, anders als in mitleidigironischem Ton sprechen?
In den kleinen Straßen rund um das Hotel gab es keinen Verkehr; der Wind flüsterte in den Tamarisken, und über den Sand bewegten sich wundervolle blaue Schatten. Weit hinter den Lehmbauten erhob sich eine eigentümlich abgeflachte, halbmondförmig gespaltene Felswand aus der Ebene. Der Hadrian-Berg, dachte ich, das Wahrzeichen von Tarn. Eigentlich gab es viele solcher Tafelberge in der Wüste, aber selten so große wie dieser. Mir kam eine Legende in den Sinn: Der Riese Amamellan hatte den Berg einst mit einem Säbelhieb 70
gespalten, damit die Ziegenherde einer schönen Hirtin bessere Weideplätze fand. Woher kannte ich die Sage? Ich wußte es nicht.
Wie merkwürdig, daß ich mich jetzt daran erinnerte!
Einige kleine Jungen spielten mit einer verrosteten Konservendose Fußball. Magere Hunde schlichen an den Wänden entlang. Eine dunkelhäutige Frau, mit Kopftuch und Einkaufstasche, zog zwei unterernährte Kinder hinter sich her. Der Junge hatte eine Rotznase, das Mädchen trug Pyjamahosen und darüber einen langen geflickten Rock und einen zerschlissenen Pullover.
Ich ging aufs Geratewohl, die Tasche mit den Geschenken über der Schulter. Die Lehmmauern leuchteten orangerot, in den unsichtbaren Gärten zwitscherten Vögel. Die Seilrolle eines Ziehbrunnens quietschte. Vielleicht war dieser Ort doch real, vielleicht waren diese Häuser mit ihrem verborgenen Leben doch wirkliche Häuser und keine Filmkulisse. Vor mir trat ein alter Mann aus einer Tür. Er trug eine Gaschabia, einen Umhang aus brauner Wolle, in schönen Falten um seine Schultern gelegt. Der sorgsam geschlungene Sckesch aus hellem Musselin umrahmte seine glatte Stirn, die gebogene Nase und dunkelbraune, freundliche Augen. Ich wünschte einen guten Abend, nannte den Namen meiner Großmutter. Ob er wüßte, wo ich sie finden konnte? Wie die meisten Algerier der älteren Generation sprach der Mann ein tadelloses Französisch. Ja, selbstverständlich kannte er Zara ult Akhamuk. Er wandte den Kopf und rief eines der spielenden Kinder. Der Mann hatte kaum seine Stimme erhoben, aber der gerufene Junge kam sofort gelaufen. Er trug einen durchlöcherten roten Pulli und Hosen, deren Reißverschluß halb offen stand. Der alte Mann sagte einige Worte, und der Kleine nickte beflissen, die kugelrunden Augen auf mich gerichtet. Er hatte ein aufgewecktes braunes Gesicht und staubverkrustete Ellbogen.
»Du mitkommen«, sagte er zu mir.
Ich dankte dem Mann, der die feingliedrige Hand zuerst an seine Stirn, dann auf sein Herz legte.
»Madame«, erwiderte er in seinem höflichen Saharafranzösisch, »es war mir ein Vergnügen.«
Wir machten uns auf den Weg. Der Junge trabte auf langen, dünnen Beinen. Ich hatte Mühe, seinen Schritten zu folgen.
»Wie heißt du?« fragte ich ihn.
»Ich, Said!« Er deutete mit seinen schmutzigen Fingern auf seine Brust, bog zielsicher um ein paar Ecken. Ich fragte weiter:
»Kennst du Zara ult Akhamuk?«
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»O ja, Madame! Schwester vom König wohnt nicht weit von hier, beim Kamelmarkt.«
Ein leichter Schauer überlief mich. Die Schwester des Königs hatte das Kind Zara genannt.
»Du von Frankreich kommen?« setzte er hinzu.
Ich nickte. Ohne sein Tempo zu verlangsamen, sah er neugierig und ernst zu mir empor.
»Zara ult Akhamuk sehr arm jetzt.«
Ich sagte nichts. Meine Herkunft, meine Kindheit streckten tastend die Hände nach mir aus. Sie von mir abzuschütteln kam nicht in Betracht.
Inzwischen stellte ich fest, daß wir uns am Stadtrand befanden. Vor uns lag ein versandeter Platz. Hier gab es viel Gelb, viel Licht, die Berge waren nicht verschleiert vom Dunst, sondern blau und klar sichtbar. Ein Geier mit weißem Gefieder kreiste am Himmel.
»Hier, Madame, Kamelmarkt!« rief Said.
Eigentlich sind es ja Dromedare, dachte ich. Die Tuareg nannten sie Mehara. Ich hatte sie mir groß und prächtig
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