Wuestenmond
Schlaff wie eine Stoffpuppe sank sie mit dem Rücken an die Wand zurück.
»Und Olivia? Matulid?« fragte sie, schwer atmend.
»O ja, Olivia geht es gut. Sie schickt dir Grüße.«
Zaras Gefährtin sagte ihrerseits ein paar Worte. Ihr Haar war unordentlich unter dem Schleier, ihr Gesicht so runzelig wie eine Walnuß. Sie hatte einen unförmigen Körper; ihre knorrigen Füße waren auf merkwürdige Art verbogen. Der Stock, der ihr beim Gehen half, lag in Reichweite. Immerhin sprach sie in lebhaftem Ton, und sie hatte ein kleines Blinzeln in den Augen, das mir gefiel.
Zaras Lippen zitterten, doch sie übersetzte mit wacher, nun wieder festerer Stimme.
»Deine Tante Lia sagt, man sieht, daß du zur Familie gehörst. Und Tamahaq sprichst du so gut wie früher. Das freut uns, Tamara. Das freut uns sehr.«
Ich erwiderte etwas verlegen:
»Ich habe fast alles vergessen. Eingerostet.«
Sie streichelte meine Hand.
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»Nein. Du wirst es bald wieder können.«
Ich wollte ihr keinen Kummer bereiten.
»Ich denke schon.«
Sie nickte und starrte mich an. Sie hatte ihre Augen mit Khol geschminkt, die Farbe war ein wenig verschmiert, und die Schatten darunter sahen aus wie zerdrückte blaue Trauben.
»Ich habe oft an dich gedacht, Kind. Ich wollte dich Wiedersehen, bevor ich sterbe.«
Ich bemühte mich um einen heiteren Ton.
»Na also… da bin ich!«
Die rauhen Lippen deuteten ein Lächeln an. Zara hatte kaum noch Zähne, ihre Lippen zogen sich nach innen.
»Ich habe weiße Haare, siehst du?«
»Ich auch«, versetzte ich. »Ein paar, an den Schläfen.«
Sie lächelte und seufzte gleichzeitig.
»Du bist nett! Aber du verstehst mich nicht. Ich entsinne mich gut an Dinge von früher. Aber was heute morgen war, vergesse ich. Das kommt, weil ich sehr alt bin, nur deswegen. Stört dich das?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Es wäre doch praktischer, wenn man alles im Kopf hätte.«
»Es gibt Dinge, die man getrost vergessen kann.«
»Glaubst du?« fragte sie müde. Ich schämte mich ein wenig und fühlte mich zugleich erleichtert. Es war mir gelungen, mich mit einer gewissen Großartigkeit in Szene zu setzen. Das muß man dir lassen, du Feigling, dachte ich, du machst deine Sache nicht schlecht. Rasch wechselte ich das Thema.
»Olivia hat mir Geschenke mitgegeben.«
Ich packte meine Tasche aus. Der blaue Schal war für Zara, der violette für Lia. Beide Frauen legten voller Entzücken die glitzernden Tücher um ihre Schultern. Auf einmal waren sie völlig verändert, ihre Gesten wurden leicht, voller Grazie. Ich gab Großmutter das Parfüm; als ihre Finger ungeschickt den Stöpsel betasteten, öffnete ich ihn für sie. Zara hielt das Fläschchen an ihre Nase, atmete tief und glücklich den Pfirsichduft ein. Sie gab das Fläschchen Lia, die sogleich Hals und Schläfen betupfte. Beide sahen sich an und lachten. Ihr Anblick erfüllte mich mit Bewunderung und Zärtlichkeit. Ja, diese alten Frauen waren große Damen, ihre Bewegungen, ihr Mienenspiel hatten die angeborene Eleganz bewahrt. Aus ihren Gesichtern strahlte das Lächeln ihrer Jugend. Und doch wurde es dunkel in mir bei diesem Lächeln. Was 79
sahen sie Tag für Tag? Hohe Mauern, einen dürren Feigenbaum; nur ein Stück Himmel zeigte sich dort, wo ihr Leben versickerte. Das war nicht immer so gewesen. Sie waren Töchter der Wüste, ihre Heimat war die endlose Weite. Sie kannten das Glühen der Sonne, die eisigen Nächte, das Leuchten der Milchstraße und den Schatten des Mondes. Sie hatten die Karawanen gesehen, die langsam durch die Sandmeere zogen. Die Männer, die sie anführten, waren schön in ihren blauen Gewändern, gingen lautlos und langsam durch den Sand; sank die Sonne, wanderten riesige Schatten wie Flügel mit ihnen. Diese Menschen hatten den Hunger gekannt, den Durst, der die Lippen ausdörrt, aber ihre Herzen waren voller Poesie, und die Weite des Himmels leuchtete in ihren Augen. Es gab manchmal Dürrezeiten und andere Katastrophen, auch Plünderzüge und Kriege, das gehörte dazu. Sie waren Imocbar – die Freien; sie waren Krieger und Dichter. Sie zogen Nutzen aus jeder sich bietenden Gelegenheit, daher überlebten sie. »Die Hälfte für uns beide, den Rest für mich«, sagte eines ihrer Sprichwörter. Die beiden alten Frauen hatten das noch erlebt, das Magische und das Reale; noch leuchtete die Weite des Himmels in ihren Augen, während sie in ihrer Behausung zu ersticken drohten.
Olivia hat genau gewußt, dachte ich, welche Geschenke
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