Wuestenmond
besonders unangenehm, 130
wenn man in der Sahara aufgewachsen ist. Und ungesund noch dazu.
Man sollte nicht glauben, daß Menschen so methodisch grausam sein können. Ich meine, sie hätten schneller einsehen müssen, wie sinnlos das war und was für eine Zeitverschwendung, da sie doch auf dem Exerzierfeld genug zu tun hatten. Mein Vater bekam Angst, setzte alle Hebel in Bewegung, bis endlich der Militärarzt nach mir schaute. Der Befund war nicht erbaulich: Knochenbrüche, Tuberkulose und einiges mehr. Mein Vater zahlte Schmiergelder; ein Anwalt übernahm die Angelegenheit. Ich wurde als militäruntauglich entlassen.«
Elias sah mich beim Sprechen nicht an, sondern starrte blicklos in die Nacht. Ich stand stocksteif neben ihm. Das Blut flöß mir kalt durch die Adern. Ich fühlte einen Luftstrom, eisig wie die Hölle.
»Weiter«, flüsterte ich rauh.
»Mein Vater hatte nicht erlebt, was ich erlebt hatte. Ich war hundert Jahre alt und ein Wrack, er war knapp achtundvierzig, gut genährt und geschniegelt. Er trug Manschettenknöpfe aus Topas, made in Thailand, versüßte sich die bittere Notwendigkeit der Katzbuckelei und gab sich Mühe, die Dinge konventionell zu betrachten. Er handelte immer nur unter einem gewissen Druck. Aalglatt war der Ausdruck, der zu ihm paßte. In meiner Lage hatte ich ihm wenig zu sagen, und eine Zeitlang wußten wir nicht, wie wir miteinander umgehen sollten. Ich spuckte Blut, schlich wie eine lahme Krähe herum. Mein Körper war schwer, aber nicht so schwer wie die Dinge in meinem Kopf. Es kam vor, daß ich überhaupt nicht schlief, und am nächsten Tag ging es mir dann noch schlechter. Dann kam meine Mutter und brachte mich wieder auf die Beine. Als ich mich besser fühlte, wollte ich nach Amerika. Mein Vater meinte, das könne mir nicht schaden. So wie die Dinge für mich aussahen, war er froh, daß ich ging.«
»Warum nach Amerika, Elias?«
Er schnalzte mit der Zunge.
»Tja, warum? Sagen wir mal, es entsprach einem inneren Drang. Ich trug eine gewaltige Unruhe in mir und das Bedürfnis, weiterzuziehen an einen Ort, an dem sich alles klären würde. Und schließlich gehört es zu unserer sonderbaren Art, daß wir, einmal zum Aufbruch entschlossen, so weit wie überhaupt möglich reisen.«
»Und wie war Amerika für dich?«
»Amerika sprang mir ins Gesicht wie eine Krake, besser gesagt, wie der Alien im gleichnamigen Film. Ich landete in New York, wo sich 131
meine Verwirrung zur Betroffenheit steigerte. Ein verrücktes Karussell drehte sich in meinem Kopf. Die Sirenen der Polizeiwagen, das Kreischen der Bremsen, die Menschen aller Hautfarben, die Obdachlosen und die Reichen, die Dealer und die Prostituierten, die verstopften Gänge der U-Bahn, der Gestank aus den Lüftungsgittern, die Wolkenkratzer. Ich hatte das Gefühl der Nomaden im Herzen, und schwindelfrei war ich auch. Ich dachte die ganze Zeit, ob es nicht besser wäre, mich in einen Vogel zu verwandeln. Die Menschen hetzten an mir vorbei. Sie hatten nie Zeit, konnten nicht zuhören. Dabei wirkten sie ungeheuer freundlich und vital. Aber ihre Selbstsicherheit war gespenstisch, weil nichts dahinter war. Keinerlei tiefes Bewußtsein. Es waren Menschen, die nie ihren Geist zur Ruhe erzogen, die niemals richtig nachgedacht hatten. Ich stolperte über Lügen, über Gleichgültigkeit und Dummheit. Freundschaft hatte dort nicht mehr Gewicht als eine Briefmarke, auch wenn sie zunächst recht fest zu kleben schien. Von jeglicher Gewalt hielt ich mich fern, denn die hatte ich bereits zur Genüge ausprobiert. Hin und wieder, wenn es sich ergab, blickte ich in einen Spiegel, um mich beim Anblick meines Gesichtes zu erinnern, wer ich war. Ich mietete einen Wagen und hielt mich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen; ich war nicht hier, um wieder zu sitzen. Ich fuhr den Highway entlang, hielt den Kopf aus dem Fenster wie ein neugieriger Hund. Ich war noch nicht gesund, hatte immer noch leichtes Fieber. In den Motels schaltete ich von einem Sender zum anderen, sah mir CNN an und Gameshows und Seifenopern. Ich streifte umher, trank, schluckte und rauchte alles mögliche – und mein Geld war schnell weg. Arbeiten konnte ich nicht, es sei denn, schwarz. So kam es, daß ich gute fünf Monate lang Schafe hütete. Eine Beschäftigung, die mir vertraut war. Meine Mutter hatte mich im Alter von neun Jahren zu den Schafen geschickt. Unsere Schafe waren dumm, aber diese amerikanischen Vierbeiner waren so blöde, daß sie manchmal ihre eigenen
Weitere Kostenlose Bücher