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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Lämmer nicht erkannten. Zum Glück hatte ich Hunde, großartige Tiere, die mir die Arbeit abnahmen. Ich war froh, allein zu sein, dachte nach und hörte in der Ferne die Stimmen der Geister. Ihr Zorn ließ mich erschaudern. Jede Landschaftsform besitzt ihre eigene Stimmung, sie ist Ausdruck der Seele einer Landschaft. Dieses wundervolle Land war krank. Der Himmel, die Gewässer, die Berge waren krank. Ich hörte die Steine weinen und sah sie im Traum bluten. Der Zorn, der hier lag, war wie das Feuer in einem brennenden Berg. Ich fragte 132
    mich, wie es wohl dazu gekommen war. Ich suchte nach einer Antwort und fand sie. Das Wort ›Reservat‹ war für mich ein unbekannter Begriff gewesen, bis ich herausfand, daß man solche Orte für Menschen meiner Art geschaffen hatte. Gefängnisse ohne Mauern sozusagen. In den Reservaten war ich kein Fremdling. Und nach allem, was ich hörte und sah, glich die Tragödie der amerikanischen Ureinwohner der unsrigen. Auch sie waren Krieger gewesen, geachtet wegen ihrer Tapferkeit. Sie hatten geglaubt, mit einem ehrenhaften Gegner zu verhandeln und hatten sich in die Irre führen lassen. Ihre Weisheit und Würde wurde mit Füßen getreten.
    In ihren Augen stand eine Geschichte geschrieben, die ich verstand.
    Auch uns hatte man hinter Stacheldrähte gepfercht, in Massengräbern verscharrt, unsere Heimat zum Versuchsgelände für Bomben gemacht. Auch wir bekamen zu hören, welch dumme, eingebildete Taugenichtse wir doch seien. Man verachtete uns wegen der Leidenschaft, mit der wir uns dem sturen Ordnungssinn widersetzten. Wir hatten noch keine Reservate – es mochte eine Frage der Zeit sein, bis irgendein kluger Kopf sich auf diese Lösung besann. Die Indianer waren bereits weiter als wir. Sie sagten, der Boden, auf dem sie standen, sei geheiligter Boden. Er bestehe aus dem Staub und dem Blut ihrer Ahnen. Sie trugen ihren Kopf hoch; sie hatten so viel gelitten, daß sie über sich selbst und über alles lachen konnten. Es wurde höchste Zeit, sie waren am Aussterben.
    Jetzt waren sie wieder bereit, den Bogen gegen ihre Feinde zu spannen. Sie sagten zu mir: ›Es kann keinen bewaffneten Krieg mehr geben, sondern einen inhaltlichen, einen ideologischen. Es ist nicht mehr wichtig, daß es nur noch so wenige von uns gibt. Wichtig ist, daß wir eine überlegene Lebensweise haben. Wir eignen uns die Werkzeuge unserer Gegner an, ihre Schulbildung, ihre Technologie; mit diesen Werkzeugen werden wir ihr Wertesystem in Fetzen reißen!‹ Sie sagten es voller Stolz und trugen unter ihrem Federschmuck den Glauben an die mitstreitende Macht der Geister.
    Da verschwand der Abstand zwischen einem Land und dem anderen, und beide Kontinente verbanden sich zu einem. In Gedanken sah ich meine Mutter, die den Wind und die Tiere sprechen hörte und die Geister herbeirief. Geschöpfe wie sie sind, glaube ich, überhaupt keine menschlichen Wesen. Sie zeigen sich nur in menschlicher Gestalt. Auch mich hatte etwas von Amenenas Atem gestreift: Auch für mich waren die Geister greifbar. Ich konnte sie zurückholen; sie standen mir zu. Ich brauchte es nur zu wollen. Diese Einsicht stand 133
    jetzt als treibende Kraft hinter mir. Eine lange, innere Arbeit war zu Ende gegangen. Die schreckliche, verzehrende Rastlosigkeit in mir schwand dahin. Ich merkte, wie ich mich veränderte. Meine Lungen heilten, die Muskeln dehnten und streckten sich. Meine Schritte wurden länger, regelmäßiger und ausdauernder. Mein Blick wurde scharf wie früher – der Blick der Jäger, der Fallensteller, der Meharisten. Es kam mir vor, als sehe ich von Tag zu Tag weiter in die Ferne. Es war eine lange Reise gewesen, aber am Ende wußte ich, warum ich nach Amerika gekommen war.«
    Elias’ Stimme verstummte so plötzlich, daß ich fast zusammenzuckte: Er sprach ruhig und gleichmäßig, und gerade deswegen erschien mir seine Stimme wie ein natürliches Echo der Wüste. Sein Blick war im Dunkeln auf mich gerichtet; es war, als hörte ich seine Gedanken. Ich sagte leise: »Erzähl weiter!«
    »Ich ging nach Algerien zurück und begann mich für Politik zu interessieren. Aflane sagte: ›Deiner Mutter wird es nicht gefallen‹.
    Ich sagte: ›Meine Mutter glaubt immer noch, wir seien das auserwählte Volk. Aber wir sind nicht auserwählt, sondern zur Ausrottung verurteilt‹. Ich erzählte von den Reservaten; er hatte nie davon gehört und es gab ihm zu denken. Doch er war der Meinung, ich würde einen schlechten Politiker abgeben.

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