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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Immerhin beschaffte er mir eine Stelle bei der Präfektur in Tarn. Da saß ich nun, in Anzug und Krawatte, und die Nomaden kamen zu mir mit den Problemen ihrer Autos. Für sie waren ein defekter Regler, ein verbranntes Stromkabel und ein kaputter Anlasser lebenswichtige Fragen, obwohl sie ebensogut wie ich wußten, daß es weit und breit keinen Ersatzregler, keinen Zwölf-Volt-Anlasser und kein neues Kabelstück gab. Aber ich kannte sämtliche Werkstättenbesitzer in Tarn, und unter Tuaregs hilft man sich aus. Wie langweilig das Ganze war, kannst du dir vorstellen. Die Langeweile brachte mich fast zur Verzweiflung. Ich erklärte meinem Vater, daß ich meine Zeit vertrödelte. Er war verärgert. ›Du vertrödelst keine Zeit. Du bist da, wo du hingehörst. Ein verrückter Vielredner wie du hat in der Politik nichts zu suchen.‹ Ich fragte ihn, welche andere Wahl ich hatte: den Mund zu halten könnte man ja lernen. Aflane bestärkte mich in der Überzeugung, daß Politiker Wesen von besonderer Machart sind, von der tückischen Machart. Mein Vater bot mir so etwas wie ein Training im Selbstbetrug an, das mir dazu verhelfen sollte, der Welt eine auf Hochglanz polierte Oberfläche zu zeigen. In der Politik gibt es wie überall eine richtige und eine falsche Art der Kompromisse.
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    Aflane erklärte mir die Verhaltensformeln, die den Weg zur Beförderung pflasterten. Bestechungsgelder gehörten dazu, die nahm man sich von den Wählern. Profitgierig und widerwärtig. Aflane fand oft Gelegenheit, zynisch zu sein. Daneben sagte er auch andere Dinge. Daß die Presse verdorben sei, ganz zu schweigen von der Armee, daß Algerien sich in einem Zustand der Lethargie befände.
    Ein postkoloniales Trauma, so nannte Aflane es. Er verbarg seine Gefühle, und so gewann ich selten ein klares Bild. Im Grunde sah er es nicht ungern, wenn ich in seine Fußstapfen trat. ›Warte ab, vielleicht kann ich die Weichen für dich stellen. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Lerne Geduld! Und laß dir die Zöpfe abschneiden. So kannst du nicht in der Willaya arbeiten, es sieht einfach albern aus!‹
    Wenn er bei der Nationalversammlung in Scbesch und Gandura erschien, war das etwas anderes. Seine Markenzeichen, sozusagen.
    Er war der einzige Targui auf dieser Welt. Er wollte nicht, daß sein Sohn ihm Konkurrenz machte.
    In Algier mochten manche meinen Vater gut leiden, aber er hatte sich auch Gegner geschaffen. Und als er verhaftet wurde, da hatte er plötzlich keinen einzigen Freund mehr. Nur noch frohlockende Feinde, oder solche, die mit gespielter Erschütterung Betroffenheit heuchelten.«
    Elias stockte; in seinen Augen glänzten helle Lichter, er schien völlig versunken. Ich sagte halblaut:
    »Zara hat mir die Geschichte erzählt. Hat er wirklich die Rebellen in Mali unterstützt?«
    Elias antwortete nicht gleich; er starrte in die Ferne. Ich sah das Sternenlicht auf seiner Gandura schimmern. Als er sprach, klang seine weiche Stimme fast tonlos, wie bei jemandem, der in tiefem Vertrauen spricht.
    »Unsere Realität ist eine andere als die Realität der Algerier. Die glauben, daß jeder Stamm eine eigene kleine Familie ist. Aber unser ganzes verdammtes Volk ist eine einzige große Familie, auch wenn wir uns früher die Köpfe einschlugen. Ein Sprichwort sagt: ›Wir gehören zusammen wie Stoffstreifen, die zu einem Mantel zusammengenäht sind. Du kannst den Faden aus Ziegenhaar nicht von dem Faden aus Kamelhaar unterscheiden‹. Aflane fühlte sich verantwortlich. In Mali kam es immer wieder zu Scharmützeln zwischen Tuareggruppen und Militär. Mein Vater hatte Kontakte zu Libyen geknüpft. Es konnte ihm nicht unbekannt sein, daß er 135
    beobachtet wurde.«
    »Und er nahm trotzdem das Risiko auf sich?«
    »Aflane hatte sich stets hinter seiner Kompromißbereitschaft versteckt und dabei betont, er wisse, was erforderlich sei. Aber wenn ein Mann von einer Sache überzeugt ist, verfällt er bisweilen in Selbsttäuschung. In gewisser Weise schien er sich an die Gefahr gewöhnt zu haben. Vielleicht war es auch die Antwort auf einen Zustand, den er viele Jahre hindurch für unerträglich gehalten hatte.
    Mit mir hat er nie darüber gesprochen, kein einziges Mal. Ich dachte, daß ich nie imstande sein würde, ihn wirklich zu verstehen.«
    »Hat er sich gescheut zu reden?«
    »Er wollte mich da nicht hineinziehen, glaube ich. Für ihn war ich irgendwo noch immer ein bißchen wie ein Kind.«
    Er sah mich an. Er war groß, aber nicht viel

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