Wuestenmond
Unglaublich, dachte ich staunend, unglaublich, diese ausgleichende Harmonie des Sandes und der Felsen, die den Boden durchschneiden wie Sägezähne und Sensen und rote Blitze!
Wo einst ein Wasserfall geschäumt und gefunkelt hatte, erstreckte sich ein Land der Sandflüsse und Sandseen, ein totes Land, das gleichwohl von Leben vibrierte.
»Was?« hörte ich Enrique überrascht rufen. »Da wächst ja Grün!«
»Es gibt noch Grundwasser«, sagte Elias. »In den Höhlen findet man lehmige Schichten mit Versteinerungen von Fischen und Muscheln.«
Der Abstieg schien halsbrecherisch. Rocco prüfte vorsichtig mit dem Fuß die Geröllkante.
»Mach keinen Unsinn«, sagte ich.
Rocco trat zurück und sah Elias an.
»Schwierig?«
Elias schüttelte den Kopf.
»Nicht, wenn du die richtigen Stellen kennst.«
»Warte, Rocco«, sagte ich.
Ich wollte das Gelände zuerst filmen. Das Licht war ausgezeichnet.
Die Sonne stand schräg, der Sand leuchtete in fotogenem Gold.
Während wir unser Material bereitmachten, lehnte Elias schweigend an einem Felsen. Der warme Wind bewegte die Falten seiner Gandura; ich hörte den Stoff leise flattern. Es war merkwürdig, wie stark ich ihn spürte, auch wenn ich ihn nicht ansah. Zwischen uns 124
herrschte ein stimmiges, intensives Einvernehmen.
Wir filmten eine Zeitlang, räumten dann die Geräte sofort wieder ein, wohl wissend, daß der Sandstaub sie extrem schädigen konnte.
Wir tranken Wasser aus der Guerba, die Elias bei sich hatte; er teilte mit uns ein paar Datteln, wir gaben ihm Schokolade, die ziemlich aufgeweicht war. Dann begannen wir den Abstieg.
»Ich gehe zuerst«, sagte Elias. »Bleibt immer hinter mir!«
Er zog seine Sandalen aus und band sie sich um den Hals. Dann kauerte er sich nieder, schob die Beine über die Felskante. Er kletterte mit lautlosen, flinken, geschickten Handgriffen. Offenbar war ihm der Hang vertraut. Ich fragte mich, wie oft er wohl schon hier gewesen war.
Die Übung war ziemlich halsbrecherisch, wir tasteten uns mit Händen und Füßen hinab, prägten uns die Stellen ein, an denen Elias sich festgehalten oder abgestützt hatte. Manchmal hielten wir an, um zu filmen. Wir arbeiteten mit größter Vorsicht, dennoch prasselten oft Steine über uns hinweg, vor denen wir die Kameras fürsorglicher schützten als unsere Schädel. Mit bebenden Lungen erreichten wir endlich den Talgrund. Es war eine Erleichterung, die schweren Gepäckstücke ablegen zu können. Elias ließ die Guerba kreisen; wir tranken, kamen wieder zu Atem.
»Wir sind gleich da«, sagte Elias.
Wir zogen hinter ihm her durch den frischen Sand. Der Boden darunter bestand aus einem Gemisch aus grobkörnigem Schuttmaterial, das der Wind herangetragen hatte. Mein Gesicht brannte, und ich spürte, wie meine Knie zitterten. Eine bronzebraune Felsrippe lag quer vor einer Felswand. Elias schwang sich hinauf, traumwandlerisch sicher in jeder Bewegung. Ich sah seine Hand direkt über mir und ergriff sie ohne zu zögern. Die schmalen, kräftigen Finger umschlossen fest die meinen. Ich fühlte mich aus der Tiefe hochgezogen, faßte schwankend Fuß neben ihm auf dem Gestein. Mein Herz klopfte stark, und das lag nicht nur an der Anstrengung.
Inzwischen halfen sich die anderen gegenseitig hinauf. Elias war bis zur Felswand weitergegangen. Er zeigte nach oben; wir folgten seinem Finger und staunten. Hoch über unseren Köpfen zogen Tiergravuren, in den Basalt geschlagen, einen langen, mächtigen Kreis. Büffel mit geschwungenen Hörnern, Antilopen, Löwen, Giraffen, springende Pferde. Die Tiere waren fast in Lebensgröße dargestellt. Dazu hatten die Bildhauer die Sonneneinstrahlung 125
berücksichtigt. Es war, als ob das Fortschreiten des Lichtes die Figuren belebte: Sie schienen mit der Sonne zu wandern.
»Phänomenal!« murmelte Enrique atemlos.
»Es gibt noch andere, ältere«, sagte Elias.
»Auch Malereien?« fragte ich.
»Nicht hier. In den Grotten.«
»Kannst du uns hinführen?«
»Zu den meisten, ja.«
Aus seinen Worten war eine gewisse Zurückhaltung zu spüren. Ein dunkler Schimmer lag in seinen Augen. Ich sah ihn scharf an.
»Stört es dich, wenn wir filmen?«
Er zögerte, aber nur kurz. Dann trat er nahe an die Wand heran und legte seine Hand auf das warme Gestein.
»Die meisten Felsen sind Augen der Erde und mit den Sternen verwandt; sie sind noch wild und ungezähmt. Aber einige tragen die Spuren von Menschen. Solche Felsen sind wehrlos; wo Menschen waren, kommen Menschen
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