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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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wieder. Du kannst filmen, soviel du willst. Das ändert gar nichts.«
    Seine Stimme klang gedämpft. Es schien, als habe er ein Stück seiner Seele preisgegeben. Hätte ich eine Ahnung gehabt, was er meinte, dann wäre ich nicht so beunruhigt gewesen. Doch schon stellte Enrique eine weitere Frage:
    »Wie alt mögen die Figuren sein?«
    Elias wandte ihm sein verschleiertes Gesicht zu.
    »Über siebentausend Jahre. Die Zeit steht für sie still. Aber unsere Vorfahren lebten schon hier, bevor die Ägypter ihre Pyramiden bauten.«
    »Und woher kamen sie?«
    Elias schüttelte leicht den Kopf.
    »Wir wissen es nicht.«
    »Das kannst du doch nicht ohne weiteres sagen! Sie kamen doch nicht aus dem Nichts!« entgegnete Thuy nüchtern. Elias lächelte mit den Augen.
    »Nun, sagen wir mal, wir sind häufig Opfer vorgefaßter Ideen und Interpretationen.«
    Thuy sah ihn neugierig an.
    »Könnt ihr damit leben?«
    »Das ist eben unsere Art. Wir selbst nennen uns die ›Kinder der Echse‹. Es heißt, daß die Echse zwischen den Göttern und Menschen vermittelte und das Feuer auf die Erde brachte. Im Alten Testament 126
    steht geschrieben: ›Die Echse fängst du mit der Hand, aber sie wohnt in den Palästen der Könige.‹«
    Thuys Augen flogen neugierig über Elias’ verschleiertes Gesicht.
    »Bist du ein Christ?« fragte sie interessiert.
    »Nein, das bin ich nicht.« Elias blinzelte amüsiert. »Die Franzosen haben sich bei dem Versuch, uns zu bekehren, die Zähne ausgebissen.«
    »Und der Islam?«
    Er zuckte mit den Schultern, lächelte.
    »Der Monotheismus macht uns keinen Spaß.«
    »Es klingt recht anmaßend, was du da sagst.« Thuy ärgerte sich und antwortete mit dem sanften Tadel einer Nonne.
    »Das ist es auch.« Elias’ Stimme klang belustigt. »Wir sind das älteste Volk der Erde. Es kommt immer darauf an, für welche Hoffnung wir veranlagt sind.«
    »Ach!« Thuy zeigte ihr sprödes Lächeln. »Ich könnte ohne den Glauben nicht leben.«
    »Der Glaube gehört zu den Dingen, die uns am wenigsten Sorgen bereiten.«
    Thuy blickte ihn an, als könnte er etwas sagen oder tun, wofür er nicht verantwortlich zu machen wäre.
    »Am Ende wirst du behaupten, du kämest von einem anderen Stern.«
    »Nur im intimen Freundeskreis«, sagte Elias. »Und erst nach dem dritten Whisky.«
    Thuy brach in Lachen aus. Sie hatte ihren Ärger vergessen. Wir lachten alle. Elias gab uns ein Zeichen.
    »Hier entlang!«
    Wir folgten ihm um den Felsvorsprung herum. Auf der anderen Seite der Basaltwand befanden sich andere, erstaunliche Schnitzereien.
    Künstler hatten die dunkle Oberfläche weggeritzt, um aus dem helleren Gestein menschliche Gestalten zu schlagen. Ihre Gesichter waren verhüllt; sie trugen eigenartige hohe Kopfbedeckungen, die an eine Mitra denken ließen.
    »Noch vor nicht allzu langer Zeit«, sagte Elias, »trugen Männer bei Festlichkeiten solche Kopfbedeckungen. Mein Großvater besaß noch eine. Sie war aus rotem Stoff gearbeitet, mit Baumwollquasten und Silberamuletten geschmückt.«
    »Was hat er damit gemacht?« fragte ich.
    »Sie verkauft, soviel ich weiß.«
    »Und wo ist sie jetzt?«
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    Er zog die Schultern hoch. Die Geste hatte etwas Müdes an sich.
    »In irgendeinem Museum, nehme ich an.«
    Ursprünglich, meinte Serge, hätten die Figuren wohl eine magische Bedeutung gehabt.
    »Da hat sich nichts geändert«, sagte Elias.
    Serge war überrascht.
    »Inwiefern?«
    »Unser Leben spielt sich in einer tiefen Beständigkeit ab. Wer sich der Gefahr stellt, braucht Riten. Heute nennen wir es Autosuggestion. Es kommt auf dasselbe heraus.«
    Rocco wischte sich mit dem Ärmel über die Nase.
    »Wer glaubt hier schon an Geister? Du etwa?« fragte er Elias.
    »Die Welt ohne Geister ist langweilig«, sagte Elias.
    Es gab keinen Hitzedunst mehr. Der Himmel war orangerot, die Dünen färbten sich kupfern. Licht und Schatten hatten ihre bewegten Spiele an der Oberfläche des Erdbodens und an den Felswänden aufgenommen. Wir machten einige Aufnahmen, aber es wurde spät, und Elias drängte zur Heimkehr ins Lager: Die Dunkelheit komme schnell; der Aufstieg bei Nacht sei gefährlich. Wir versorgten die Kameras und begannen zu klettern. Die Sonne glich einem brennenden Busch, dessen Flammen hinter den Bergen loderten. Wir kamen nur langsam voran, bewegten uns aber mit großer Anstrengung. Das letzte Wegstück durch das Geröll war einfach.
    Wie recht Elias hatte, merkten wir, als die Finsternis von Augenblick zu Augenblick wuchs und

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