Wuestenmond
geschlagen; die Arbeit mußte langwierig und mühsam gewesen sein, denn das Felsgestein im Ahaggar ist hart. Nein, die damaligen Menschen waren keine primitiven Jäger, wie es in unseren Schulbüchern steht.
Sie waren Wesen voll geheimem Wissen und unvorstellbarer Kraft, die mit dem unendlichen Raum eins sein wollten.
Neben den Halbreliefs waren geometrische Zeichen, Punkte, Striche und Kreise eingeritzt. Diese Schrift, das Tifinagh, wird noch heute von den Tuareg verwendet. Ich wandte mich an Elias.
»Kannst du die Schriftzeichen lesen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Sie wurden später hinzugefügt.«
»Später?«
»Vor tausend Jahren, schätze ich.«
»Und du kannst sie nicht lesen?«
»Doch, aber ich verstehe nicht den Sinn. Unsere Sprache hat sich –
wie alle Sprachen – im Laufe der Zeit verändert.«
Rocco kratzte sich am Kopf.
»Ach, hör mal, was ist denn der Unterschied…«
»Das Tifinagh ist rein phonetisch, eine Lautschrift also.«
Elias wies beim Sprechen auf eine bestimmte Stelle. »Ein Strich und drei Punkte, zum Beispiel wie hier, bedeuten nek oder uanek, was unserem ›Ich‹ entspricht. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Kennst du jemanden, der sie lesen könnte?« fragte ich.
»Meine Mutter, vielleicht; sie würde jeden Satz nach Gefühl ergänzen. Hier will man natürlich, daß alle Tuareg in ein oder zwei Generationen nur noch arabisch schreiben. Aber wir sind in manchen Dingen stur.«
Rocco musterte ihn von der Seite. Er hatte in Tarn mit ein paar Leuten gesprochen und sich Informationen geholt.
»Ihr macht ganz schön Scheiß, habe ich mir sagen lassen.«
»Darauf kannst du wetten«, sagte Elias.
Wir merkten kaum, wie die Zeit verging. Die Sonne stieg, nach einigen Stunden wurde die Hitze höllisch, die Felswände strahlten zusätzliche Wärme aus. Farbloses Licht löschte die 142
Schattenkontraste. Die Hitze drang unter die Haut, stach wie mit Dornen. Elias suchte Wurzelholz, entfachte ein Feuer an einer schattigen Stelle. Bald dampfte der Teekessel, dumpfe Stille brütete über dem Tal. Wir packten unser Material ein, um es vor dem Sand zu schützen, breiteten eine Decke auf dem Boden aus und ließen uns darauf nieder. Ich nahm die Mütze ab, schüttelte mein sandiges Haar.
Elias lächelte mit den Augen.
»Müde?« fragte er sanft. Ich verzog das Gesicht.
»Nicht die Spur. Wir machen Ferien.«
Meine Fußsehnen taten weh, weil ich seit fünf Stunden auf den Beinen war. Ich streckte mich aus, um Elias’ Schatten auf dem Gesicht zu haben. Er merkte es, denn er blieb still sitzen. Er blinzelte kaum in der Helligkeit. Das Weiß seiner Augen schimmerte bläulich, die goldbraune Iris war wie Samt. Wir aßen die Reste von Adils Brot, dazu Käse und Datteln. Wir sprachen wenig; die Hitze machte uns schläfrig. Mein Hals wurde steif, nach wenigen Minuten schlief ich ein, bis Enriques Stimme mich weckte.
»Wo steckt bloß Elias?«
Ich blinzelte schlaftrunken.
»Ich dachte, er sei hier.«
»Er ist ganz plötzlich verschwunden«, sagte Thuy.
»Seit wann ist er fort?«
»Seit einer Stunde, vielleicht noch länger.«
Eine vage Unruhe überfiel mich. Doch ich sagte betont beiläufig:
»Er wird schon wieder auftauchen.«
Wieder verging Zeit. Roccos Zigarettenqualm wehte zu mir herüber.
Ich wurde allmählich nervös. Plötzlich sagte Serge: »Da ist er!«
Erleichtert sah ich, wie er in der Ferne durch die Schlucht auf uns zukam. Sein weißes Gewand, das ihn bis zu den Fersen verhüllte, und das schwarze Baumwolltuch auf seinen Schultern hoben sich eindrucksvoll vor dem goldenen Sand ab.
Sonnenflecken tanzten vor meinen Augen; ich mußte schlucken und wurde schwach in den Knien. Es erregt mich physisch, wenn ich etwas Schönes sehe. Nichts ärgerte mich mehr als der Zustand erregter Sentimentalität, in den mich der Anblick eines Mannes versetzen konnte. Ich wandte mich brüsk ab, betrachtete die Schlucht, den heißen, undeutlichen Zusammenklang von Sand und Felsen. Zum Glück war für Enrique eine gute Sequenz das Selbstverständlichste der Welt. Ich brauchte ihm nicht einmal ein Zeichen zu geben: Er stellte seine Kamera ein und filmte, bis Elias 143
dicht vor uns stand. Worauf Enrique die Augen vom Sucher löste und ein süßes Lächeln zeigte. Er hatte mir wirklich einen Gefallen getan.
»Schon gut, Tamara, ich mache das nur so zum Spaß.«
»Kriege ich einen Oskar dafür?« witzelte Elias.
Sie lachten. Ich setzte meine Mütze auf.
»Keiner wird glauben, daß wir das
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