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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schaffen. Wahrscheinlich hat der französische Staat eine Abfindung gezahlt. Algerien wird das Geld in die Rüstung gesteckt haben. Oder bei einer Schweizer Bank deponiert haben.«
    Und inzwischen kommt das Gift, dachte ich. Es kommt aus den Löchern der Erde, aus dem Wasser, aus dem Staub; es zieht durch die Oasen, dringt in die Zelte, in das Knochenmark aller Menschen und Tiere. Ich spürte, wie unter der brennenden Haut Kälte in mir aufstieg.
    »Und die Bevölkerung?«
    »Die Leute sehen Dinge, die sie nicht begreifen können. Sie glauben, es ist vorbestimmt. Mektoub. Und was die Nomaden betrifft, ihr abgeschiedenes Leben hält sie von Gerüchten fern. Die Geburt eines Kindes, das nicht normal ist, erscheint ihnen furchtbar und unehrenhaft. Sie wissen nicht, warum es so ist, ahnen es nicht einmal. Man müßte es ihnen mit Worten erklären, die sie verstehen könnten…«
    »Hast du es niemals versucht?«
    »Nein. Es tut mir leid. Ich war blind, ein Versagen, das schwer auf meinem Gewissen lastet. Doch was sollten wir tun? Wir müßten sehr tiefe Brunnen graben, mindestens zweihundert Meter unter der Erde.
    Aber wer gibt uns das Geld?«
    »Internationale Hilfe, vielleicht…?«
    »Die würde Algerien mit nobelklingender Entrüstung zurückweisen.
    189
    Die Wirtschaft braucht ausländisches Kapital, und zwar dringend.
    Gibt die Regierung zu, daß ein Teil der Sahara radioaktiv ist, würden die Investoren zurückschrecken.«
    Ich fühlte, wie meine Kraft mich verließ. Mit blinzelnden Augen betrachtete ich den Mond, der etwas größer als gestern war und kupferrot aufstieg. Ich dachte an die kleinen Monster unten im Schacht; mir wurde übel. Man würde sie im Fernsehen zeigen, diese so unerträglich widerlichen Kreaturen. In Großaufnahme, so nah, daß sie den ganzen Bildschirm ausfüllten, dafür würde ich sorgen.
    Aber inzwischen waren Harrisburg, Seveso, Bophal, Tschernobyl passiert. Die Welt hatte ihre Ölpesten, Erdbeben, Massengräber, Aids- und Ebola-Viren. Der katastrophengesättigte Bürger ließ sich nur dann wachrütteln, wenn das Desaster aktuell war. Dann döste er wieder ein und wartete auf das nächste.
    »In-Eker«, sagte ich wütend, »ist ein alter Zopf.«
    Das Paradies war eine Illusion, und ebenso die Wüste mit ihren unterirdischen Seen, ihren Geheimnissen, ihren verborgenen Wunden. Sie war aus den Trümmern der Vergangenheit geschaffen und versprach ihren Kindern keine Hoffnung, keine Chance mehr.
    Die Nomaden wanderten auf vorgezeichneten Todespfaden, dem Sterben der Erde folgend; sie würden in die Legende eingehen wie einst ihre Ahnen, der Stille entgegen, wo ihr Name aus dem Gedächtnis verschwindet und das Vergessen beginnt.
    »Ein Sterben auf Raten«, sagte Elias dumpf, »man kann es auch Zukunftsstarre nennen.«
    Ich drückte mein Gesicht an seine Schulter.
    »Es ist ziemlich hoffnungslos, meinst du nicht auch?«
    Seine schönen feingliedrigen Hände streichelten mein Haar.
    »Ja, wahrscheinlich. Und alles andere auch. Das zwischen dir und mir, meine ich. Ich bin ohne Garantie mit dir zusammen, kann dir nur mich selbst und meine Ehrlichkeit bieten. Wenn es mich so nach dir verlangt, bedeutet das, daß du einen großen Platz in meinem Herzen hast. Aber ich habe mich damit abgefunden, daß du gehst.
    Du hast in Paris viel zu tun. Es ist besser, so zu denken, das tut weniger weh«, setzte er leise hinzu.
    Die kalte Nacht hüllte uns in ihr Saphirblau; immer noch wehte der leichte Wind, mit einem fernen Wellengeräusch und dem Geschmack des Sandes. Ich wandte plötzlich den Kopf, überraschte Elias bei einem langen Blick auf mein Profil, und sagte:
    »Du bringst mich noch so weit, daß ich in Schwierigkeiten komme.«
    190
    Er legte beide Arme um mich.
    »Man heilt langsam, das braucht seine Zeit. Aber du sollst dir keine Vorwürfe machen. Ich verstehe das alles vollkommen.«
    Ich hob die Hände, berührte sein Gesicht, die hohe Stirn, die Linie der Wangenknochen. Etwas Sand klebte auf seiner Haut, ich fühlte es unter den Fingerkuppen.
    »Hast du nie daran gedacht, den Hoggar zu verlassen? Nach Europa zu gehen?«
    Ein schmerzliches Zucken ging über sein Gesicht. Dann lachte er ironisch.
    »Ob es mir paßt oder nicht, ich bin Algerier. Was wäre ich in Europa? Ein Asylbewerber, wie alle anderen. Da steht mir meine verdammte Überheblichkeit im Weg.«
    »Das ist idiotisch«, sagte ich.
    »Ja, ich weiß.«
    Wir lachten beide und wurden im gleichen Atemzug wieder ernst.
    Elias runzelte die

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