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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Stirn, als lausche er den Geräuschen der Nacht.
    Schließlich hob ein schwerer Seufzer seine Brust.
    »Es ist nicht nur das.«
    »Natürlich nicht.«
    »Selbst wenn ich wollte und könnte, ich würde nicht weggehen. Es wäre feige und egoistisch. Man führt Krieg gegen uns. Nicht nur mit Panzern und Atommüll, sondern mit Schlagworten, Statistiken, Paragraphen. Früher war nur unser Leben bedroht, heute ist es unser Geist, der geknebelt wird; und ich glaube, dies ist schlimmer als der Tod.«
    »Ich kann mir vorstellen, daß es so ist«, sagte ich leise.
    Er nickte.
    »Manche von uns leben weiter in ihrem altgewohnten Rhythmus.
    Vom Sinn des Modernen verstehen sie nicht viel. Diese Leute brauchen mich…«
    »Und sonst?«
    »Nichts sonst. Es ist leicht, im Kampf sein Leben zu verlieren. Eine Kugel schmerzt nicht, wenn sie in die Brust dringt. Langsam sterben in Hunger, Not und Verzweiflung ist ein hartes, ein trauriges Schicksal. Uns muß jemand helfen, auf die richtige Art zu leben.
    Deswegen bin ich zurückgekommen, verstehst du?«
    »Ich glaube schon.«
    Während er sprach, spürte ich durch den leichten Stoff seiner Gandura die Resonanz seiner Stimme. Ein Frösteln überlief mich.
    191
    Das war der Weg, dachte ich, der Weg, der ihm blieb. Vor Jahrtausenden mußte das, was sich in ihm regte, entstanden sein: der Stolz, die Verantwortung, ein kollektives Gedächtnis, vielleicht auch der unbewußte Wunsch, es seinem Vater gleichzutun. Er kann gar nicht anders handeln, dachte ich mit schmerzvollem Staunen. Das, was er wirklich liebte, war hier, in dieser Landschaft. Ich wußte nicht, was es war; aber es war größer als eine Frau, als alle Menschen, als die Religion, die ihm nichts bedeutete. Es war eine Art Mission; vielleicht wurde er, während er mit mir sprach, sich selbst darüber klar.
    Wie immer, wenn ich erschüttert war, klang meine Stimme übertrieben sachlich.
    »Und? Legt man dir keine Steine in den Weg?«
    Er lächelte.
    »Sogar Felsen.«
    »Das scheint dir nichts auszumachen.«
    »Mir sind verschiedene Probleme bewußt. Aber ich kann nicht fortziehen, meine Wurzeln sind hier.«
    »Elias, wie lange hast du mit den Rebellen gekämpft?«
    Ein wenig lächerlich, aber ich wollte es wissen; bisher hatte mich nur eine letzte Scheu abgehalten, mich über diesen Punkt zu erkundigen.
    Er zuckte die Achseln, nahm nachdenklich die Frage auf.
    »Wie lange? Was soll ich sagen? Ich war jung, aber ich trug eine Waffe. Und wer eine Waffe trägt, macht zwangsläufig – irgendwann
    – von ihr Gebrauch. Amenena sah diese Dinge sehr klar; sie wollte nicht, daß ich mich einmischte. Ich war ihr Sohn, ich hatte zu gehorchen. Aber die Rebellen kamen an unser Lagerfeuer; manche waren verletzt, und Amenena pflegte ihre Wunden. Sie liebten ihren Aufstand, weil er ihr Lebenszweck war. Sie sagten mir immer wieder, daß es ihre größte Hoffnung war, für unsere Sache zu sterben, denn nur durch den Tod bleibe man seiner Überzeugung bis ans Ende treu. Ich bewunderte sie. Ihre Begeisterung und die meine waren nicht gleich. Sie träumten von Heldentaten, während ich, durch die Dialoge mit meinem Vater ernüchtert, die Politik durchschaute. Im Kern meines Zorns fühlte ich Trauer und Angst.
    Auch kamen mir die Worte Dassines in den Sinn, die sie zu ihrem Bruder, den Amenokal Mussa ag Amastene nach der Schlacht von Tit gesprochen hatte.«
    »Wer war Dassine, Elias?«
    »Meine Urahnin, die vor hundert Jahren lebte. Sie war so schön, so 192
    wunderbar klug, daß man nur in Gedichten und Metaphern von ihr sprechen konnte. Im Jahre 1902 erlitt die Konföderation des Ahaggars eine entsetzliche Niederlage. Wir kämpften mit Lanzen und Schwertern, die Franzosen waren mit Maschinengewehren gekommen. Sie waren nicht aufzuhalten. Noch nie hatten so viele ihr Leben verloren, Trauer und Wehklagen herrschten in den Zelten.
    Aber das ist eine andere Geschichte…«
    Die Art, in der Elias sprach, erfüllte mich mit nachdenklicher Verwunderung. Er ließ sich völlig von dem Fluidum des Augenblicks tragen, bewegte sich mühelos in einer Welt komplizierter Gedankenverbindungen. Dadurch kannte sein Erzählen keinerlei Systematik und Logik. Ich kniff ihn in den Arm.
    »Zur Sache, Elias! Was hat Dassine gesagt?«
    »Der Amenokal berief die Djemaa, den großen Stammesrat, ein. Seit jeher war es Brauch, daß die Mutter oder die ältere Schwester des Königs an der Djemaa teilnahm und ihr Vetorecht ausübte. Als die Krieger für eine Vergeltungsschlacht

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