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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Das heiligt sie und macht sie zu Brüdern des Gesteins. Sie werden unbesiegbar.«
    »Woher weißt du das?« unterbrach ich ihn. »Warst du dabei?«
    Er blinzelte mir zu.
    »Es gibt Dinge, über die man nicht sprechen soll. Tu so, als hätte ich sie dir nicht gesagt.«
    »Du imponierst mir, Elias.«
    Ich ließ meine Blicke über die Felswand wandern. Über den Köpfen der beiden Figuren war weit bis in das Dunkel hinauf eine Zeichnung geritzt. Das Motiv erschien mir vertraut und doch fremd. Im Halbdunkel sah ich es verschwommen.
    »Ein Sternbild?« murmelte ich.
    »Kennst du es?« fragte Elias.
    Als ich zwölf war, hatte mir Olivia zum Geburtstag einen illustrierten Astronomie-Atlas geschenkt. Ich hatte Stunden darin geblättert. Das war an vielen Nachmittagen meine liebste Beschäftigung gewesen: den Atlas zu studieren und Fruchtbonbons zu lutschen, solche, die die Zunge rot oder grün färbten. Ich sah mich 184
    noch, wie ich mit dem Zeigefinger sorgfältig an den Umrissen der einzelnen Sternbilder entlangfuhr. Das Buch war für mich eine Fundgrube unwiderlegbarer Offenbarungen gewesen, meine erste bewußte Wahrnehmung des Unendlichen.
    Ich versuchte zu sehen, was Elias deutlicher sehen konnte als ich.
    Worauf beruhte diese unwiderstehliche Anziehungskraft? Ich war plötzlich sehr erregt.
    »Es ist die Leier, nicht wahr? Das kann nur die Leier sein! Mit der Wega, dem leuchtendsten Stern der nördlichen Hemisphäre. Sie war vor zwölf tausend Jahren der Polarstern. Das hängt mit der Rotation der Erde zusammen. Mit dem Vorrücken der
    Tagundnachtgleichen…«
    Elias nickte. Sein Blick war eindringlich, doch als er sprach, klang seine Stimme sonderbar müde.
    »Wir sind ein altes Volk und daran interessiert, auf welche Art die Vergangenheit etwas für uns bedeuten könnte. Man kann uns in keine Kategorie einordnen. Wir sind die Überlebenden einer Katastrophe, eine bedrohte Gattung. Und so prahlen wir mit unseren Ursprüngen wie andere mit Macht und Kapital. Wir halten uns für vollkommen, aber dahinter ist nichts. Wir haben unser Gedächtnis verloren. Die ›Kinder der Echse‹, nicht wahr? ›Es war einmal‹, heißt es im Märchen. Ich würde sagen: ›Wir waren einmal.‹ Die Karawanen in der Wüste hinterlassen nur ihre Fußspuren. Und der Wind weht sie fort…«
    Ich lächelte schwach und richtete die Kamera auf die Felswand. Der Sucher erfaßte die Figuren, glitt langsam über sie hinweg. Das Sternbild glühte an der honiggelben Fläche. Ich sah es jetzt vergrößert, aus der Nähe. Klar und exakt waren die Linien wiedergegeben, eine perfekte Geometrie des Himmels. Und ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte, daß die Wega nach so vielen Jahren in meinen Erinnerungen noch eine Rolle spielte. Und gleichzeitig war noch die Angst da, das Kopfweh ebenfalls. Es mußte an der eingeschlossenen Luft, an der drückenden Feuchtigkeit liegen. Von weit her hörte ich immer das gleichmäßige Geräusch von Wassertropfen.
    Noch während ich drehte, bemerkte ich, wie Elias sich langsam entfernte, dem Geräusch des Wassers nachging. Er duckte sich unter einen Vorsprung, hielt mitten in der Bewegung inne. Er hockte sich auf die Fersen, beobachtete mit großer Aufmerksamkeit etwas vor sich auf dem Boden. Ich wollte zu ihm gehen, aber das Seil war nicht 185
    lang genug. Ich löste den Knoten; das Seil fiel mit leisem Klatschen auf die Steine. Vorsichtig und halb gebückt trat ich neben Elias. Ich sah eine Bewegung vor ihm auf den Steinen. Im Halbdunkel kroch ein kleiner hellgrauer Molch, hinterließ dabei eine feuchte Spur, als ob er aus einer Pfütze käme. Elias hob den Kopf und blickte mich an.
    Ich kauerte mich neben ihn und betrachtete das Tier, das sich tastend bewegte. Und dann sah ich es: Der Molch hatte zwei Köpfe; der zweite war eher ein Auswuchs, schuppenartig vertrocknet. Elias streckte schweigend die Hand aus. Ein anderer Molch lag reglos in einem Spalt, er hatte die Farbe eines gebleichten Knochens und schien tot zu sein. Doch plötzlich bewegte ein Zucken die blinden Augen; eine groteske, unerwartet heftige Bewegung krümmte den bleichen Leib. Unbeholfen tastete sich der Molch aus dem Spalt; er war größer als das erste Tier, mit sechs Beinen und einem Schwanzstummel. Ein weiterer Molch erschien, ein ganz kleiner diesmal, der seinen Zweitkopf wie ein eingeschrumpftes Geschwür schleppte. Ein heftiger Schauder packte mich. Ich wich erschrocken zurück.
    »Was ist das, Elias?«
    Er nickte langsam und sprach wie

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