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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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stimmten, widersetzte sich Dassine diesem Entschluß in einer berühmten Rede. Ihre Worte, in der höfischpoetischen Ausdrucksweise der alten Minnelieder, behielten die Anwesenden im Herzen. Sie gaben sie weiter, und so leben diese Worte noch heute. Jedes Kind lernt sie auswendig.«
    »Kannst du sie mir übersetzen?«
    Ich konnte seine Augen erkennen, die unbeweglich in die Dunkelheit starrten; er war ganz in einer anderen Welt.
    »Übersetzt klingt es natürlich nicht so schön wie in Tamahaq. «
    »Das macht nichts«, sagte ich.
    Ein paar Augenblicke lang war nur das ferne Rauschen des Windes zu hören. Elias lächelte und sprach in zögerndem Französisch:
    »O mein Bruder, o meine Freunde! Feinde bedrohen unser Volk.
    Unsere Krieger haben wie Löwen gekämpft und mit ihrem Blut ihr junges Leben vergossen. Die Fremden besitzen die Übermacht der Waffen, wir haben nichts als unsere Tapferkeit. Aber was wird aus unserem Volk, wenn Todeshagel die Blüte unserer jungen Männer niedermäht? Wir Frauen bleiben einsam, den Feinden ausgeliefert, unsere Kinder werden ohne Vater heranwachsen; kein Herzensfreund wird den Imzadspielerinnen lauschen. Ich, Dassine, sage euch: O mein Bruder und meine Freunde, wir wollen unsere Freiheit, nicht aber unseren Untergang. Wir wollen nicht in unserem Zelte wehklagen und die Edelsten und Tapfersten unseres Volkes beweinen…«
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    Die Worte berührten mich; sie waren archaisch und gleichsam erstaunlich modern. Es waren die Gedanken einer Frau, die sich an die Taten ihrer Vorfahren erinnerte und gewissermaßen gegen sich selbst sprach. Ohne Zweifel war sie zornig und konnte jeden Augenblick die Geduld verlieren. Aber sie erkannte Schicksal und Notwendigkeit. Sie sah, wie das Verhängnis näher kam. Sie setzte ihm die Kraft ihres mächtigen Willens entgegen, schwang sich zu dem auf, was sie für gut hielt; ohne Rücksicht auf das, was die Männer von ihr denken mochten.
    »Sie haben auf sie gehört?« fragte ich.
    Er lächelte, schüttelte leicht den Kopf.
    »Natürlich nicht sofort. Es gab großes Palaver, Zorn und Gezeter.
    Viele Amrar widersetzten sich. Aber Dassines Einfluß war so groß, daß keiner wagte, sie als Verräterin hinzustellen. Am Ende willigte der König ein, mit den Franzosen zu verhandeln, und zwei Jahre später wurde der Frieden geschlossen. Aber das ist eine andere Geschichte.«
    Ich blinzelte ihm zu.
    »Kennst du noch mehr solche Geschichten?«
    »Eine ganze Menge. Mein Gedächtnis ist nicht schlecht. Es kommt aus einer Zeit vor tausend Jahren, es läuft über den Sand, schneller als mein Mehari. Ich messe die Zeit nicht mehr in Sekunden, Minuten, Stunden. Ich messe die Zeit mit meinem Atem, mit dem Geräusch, das meine Füße im Staub machen.«
    »Du… Elias?«
    »Ja, was ist?«
    »Den Whisky, den bist du nicht gewöhnt.«
    »Nein«, erwiderte er, und jetzt lachten wir beide. Es war tatsächlich so, daß er der Versuchung widerstand, die Zeit messen zu wollen; er sprach von allem fast gleichzeitig. Sein Gedächtnis bewegte sich wie das Leben der Tuareg in einem Raum, in dem die Horizonte verwischten.
    »Und diese Geschichte damals«, sagte ich, »was löste sie bei dir aus?«
    »Sie bewirkte, daß ich mich den Rebellen nur für kurze Zeit anschloß. Ich hatte Angst vor dem Tod – nicht vor meinem eigenen, sondern vor dem meines Volkes. Als Ersatz für all das, was wir verloren haben, bekommen wir niemals etwas zurück. Wir sollen sterben, es liegt in der Zukunft beschlossen, vielleicht morgen, wahrscheinlich übermorgen. Kämpfen nützt nichts mehr.«
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    »Wieso bist du dir so sicher?«
    »Sie haben die besseren Waffen, auch wenn mein Vater seine Spielchen mit Ghaddafi trieb. Jeder, der stirbt, nimmt einen Teil unserer Kraft mit sich, und unsere Feinde haben leichtes Spiel. Statt zu kämpfen, sollten wir uns paaren und Kinder zeugen, damit wir mehr werden. Oft meine ich, daß Dassines Geist noch lebt, die ganze Wüste bedeckt, mit Sand und Staub verschmolzen, in Felsspalten verborgen oder auf den Steinen schimmernd. Und so denke ich heute, daß man uns vielleicht wachrütteln kann. Die Dinge haben bereits angefangen sich ein wenig zu ändern. Aber es braucht Zeit.
    Und mein Leben soll mir nicht leid tun.«
    »Wir sind dabei, uns zu verlieben«, hatte Elias in der Höhle gesagt.
    Ich befand mich plötzlich in einer Welt der Unsicherheit. Ich konnte nicht erklären, wie das gekommen war. Es hatte mich einfach ergriffen. Bisher hatte ich mich so zu arrangieren

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