Wunder wie diese
mich, es ist Zeit, ins Bett zu gehen und ein wenig an die Decke zu starren.
2. Dezember
Willkommen auf der anderen Seite! Am liebsten würde ich sagen: Willkommen im Sommer der Liebe, aber das würde vielleicht etwas zu weit führen, wie sich zeigen wird, wenn ich auf das Feld zu sprechen komme. Wider alle Erwartungen habe ich meine sämtlichen Hausarbeiten abgegeben und alle Prüfungen überstanden, was zum dritten Mal in drei Jahren beweist, dass es einen Gott gibt und dass er mich liebt. Die letzte Prüfung war Soziologie, ein dreistündiger Hammer. Als der Prüfer um zwölf »Zeit zur Abgabe« ankündigte, fiel mir der Kuli aus den verkrampften Fingern und mein Kopf sank wie von selbst auf die Tischplatte. Eine eigenartige Montage des letzten Jahres wuselte mir durch den Kopf, viele Michaela-Szenen in verschiedenen Entwicklungsstadien dieser traurigen Angelegenheit; Kathy, wie sie draußen vor der Bibliothek Audienz hielt; Streit mit meiner armen Schwester, die meine nächtlichen Wutausbrüche anscheinend am meisten zu spüren kriegt; und seltsamerweise Amelia bei der Pause im Belegschaftsraum, wie sie auf dem Stuhl sitzt, die Knie zum Kinn hochgezogen, und dabei eine abgegriffene Ausgabe von Herz der Finsternis liest und Tee aus einem Styroporbecher nippt.
Anschließend habe ich Mick, Rohan und Suze in der Uni-Bar getroffen. Ich habe viel getrunken. Dann bin ich nach Hause gegangen und habe fünfzehn Stunden geschlafen. Und hier bin ich!
Also gut, machen wir eine Bestandsaufnahme. Zu den positiven Dingen zählt, dass ich drei Monate von der Uni freihabe und es gut aussieht für den Abschluss in Soziologie im nächsten Jahr. Zu den weniger schönen Dingen zählt, dass die Suche nach der perfekten Frau immer noch ergebnislos verläuft und ich von daher keine Freundin habe, mit der ich den Sommer verbringen könnte. Außerdem habe ich kein Geld und werde dreißig Stunden die Woche bei Woolies arbeiten müssen, um das Konto auszugleichen. Ich werde mich ernsthaft bemühen, meinen Lohn nicht zu vertrinken, aber ich verspreche nichts.
Rohan hat seinen Bachelor als Chemieingenieur gemacht und sich in Newcastle beworben. Das nächste Uni-Jahr ohne ihn wird ziemlich merkwürdig sein. Den Sommer über wird er auch kaum da sein, weil sein Dad ihm zum Examen eine Europareise geschenkt hat. Mein Dad dagegen hat mir angeboten, mir einen Teil zu der Surfer-Badehose, die ich mir diesen Sommer kaufen will, dazuzugeben. Einen Teil, wohlgemerkt.
Rohan wollte mir, während er weg ist, sein (von den Eltern gesponsertes) Auto leihen, aber seine Schwester hat so lange gezetert, bis er es ihr doch leihen musste. Ich versuche, Ro nicht zu beneiden, um all die Dinge, die ihm seine Eltern finanzieren, wie die Reise und das Auto, und die Tatsache, dass er so viel mehr Zeit für das Studium hat, weil er nicht arbeiten muss, während ich scheinbar jeden gottverdammten Tag im Bus zum Land der Träume sitze. Ich gebe mir echt Mühe, ihn nicht zu beneiden. Es ist abscheulich, seine Zeit mit Neid zu verbringen, wenn in Afrika gleichzeitig ganze Familien, ganze Stämme zu Tausenden abgeschlachtet werden, wenn in zerlöcherten Flüchtlingsbooten Hunderte auf offener See ertrinken oder verhungern und wenn die Kinder derer, die es bis hierher schaffen, hinter Stacheldraht aufwachsen und zusehen müssen, wie ihre Eltern langsam durchdrehen. Wenn Häuser, Familien, Städte innerhalb eines Tages zunichtegemacht werden. Ich finde mich selbst zum Kotzen, wenn ich Ro um die Dinge in seinem Leben beneide. Andererseits schmeckten die Kirschen des Nachbarn schon immer süßer als unsere eigenen. Im letzten Semester gab es in Moderner Australischer Literatur ein Seminar zu Kurzgeschichten. Meine Lieblingsgeschichte war von Kate Jennings. Sie erzählt darin von einem Schriftstellerkollegen, der phänomenalen Ruhm und Erfolg erntet, der weit über die eher bescheidene Anerkennung der Autorin selbst hinausreicht (wie ich vermute). »Neid«, schreibt Kate Jennings, »ist ein schmuddeliges kleines Gefühl.«
Wie auch immer…
Das Feld sieht folgendermaßen aus:
Kathy – normalerweise würde ich hier schreiben: eher symbolisch vertreten, denn in einer Million Jahre nicht, aber in letzter Zeit scheint mir das Glück ein wenig holder. Die üppige blonde Deli-Georgia hat es anscheinend auf mich abgesehen seit unserer »Jeff-wer?«-Affäre. Die kleine Donna von der Arbeit scheint auch nicht abgeneigt zu sein. Vielleicht hat das eine ja nichts mit dem anderen
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