Wunder wie diese
Uni-Abschluss, einen prima Job und hatte schon eine ganze Serie hübscher Freundinnen. Und all das nimmt er so ganz selbstverständlich hin, als wäre es sein angeborenes Recht. Wenn ich das wäre, würde ich mich aufführen wie das Mauerblümchen, das vom Kapitän der Footballmannschaft zum Tanz aufgefordert wird: unendlich dankbar und mehr als ein wenig überrascht. So würde ich reagieren:
Oh, Gott! Wie gut meine breiten Schultern doch in diesem Hemd zur Geltung kommen. Das ist ja so was von megacool! Was bin ich doch für ein Glückspilz mit meinen muskulösen breiten Schultern und meinem mysteriösen Charme. Wie bitte? Geld für die Haushypothek? Dad! Das ist das bedeutendste und wertvollste Geschenk, das ich je bekommen habe! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, außer: Tausend Dank! Das ist eine Riesenerleichterung, ohne eure Hilfe hätte ich es unmöglich geschafft! Ach Stella, hier auf der Party meinen Arm um dich legen zu dürfen, das ist das Allergrößte. Du bist so hübsch und clever und ich kann’s kaum glauben, dass ich derjenige sein werde, der dich später noch betatschen darf! Danke! Das ist alles wahnsinnig aufregend.
Auf jeden Fall habe ich Unmengen von den Böreks verdrückt, die Rohans Mutter gemacht hat, raue Mengen an Bier runtergestürzt und zu guter Letzt bin ich dann umgekippt. Nicht bei Rohan zu Hause, sondern im Anschluss, als wir alle noch in die Stadt gefahren sind. Wie in guten alten Zeiten – Mick, Suze, Rohan und ich. Und diesmal noch mit Stella.
Genau. Es ist an der Zeit, mal wieder eine Bestandsaufnahme zu machen:
Zoe lässt mich im Stich und allein in diesem pathetischen Schwebezustand meines Lebensabschnitts.
Das Feld hat momentan nicht viel zu bieten.
Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich das letzte Mal von Michaela gehört habe, und das war lange bevor ich ihr die Blumen zu Weihnachten geschickt habe. Wahrscheinlich wird sie sich auch nicht mehr melden. Das ist ein ziemlich ernüchternder Gedanke. Mit etwas Abstand betrachtet wird immer klarer, dass es wahrscheinlich keinen Kontakt mehr zwischen uns geben wird. Nie mehr. Die Wahrscheinlichkeit, ihr hier zu begegnen, ist ziemlich gering. Ich habe diese merkwürdigen Tagträume, bei denen ich sie in zehn Jahren zufällig auf der Straße treffe. Ich habe womöglich mein erstes Kind im Schlepptau. Sie vielleicht ihres. Unsere Partner kommen darin nicht vor. Diese Vorstellung ist zugebenermaßen hauptsächlich aus einer entfallenen Szene von Große Erwartungen entsprungen, in der Pip und Estella sich Jahre später auf der Straße wiedersehen. Pip hat den kleinen Sohn von Joe und Biddy dabei und Estella hält ihn für Pips. Pip arbeitet hart, es geht ihm gut. Er hat sich mit seinem Leben abgefunden. Estella ist diejenige, die unglücklich aussieht, die unglücklich ist. Ihr Leben ist ziemlich verkackt, weil sie statt Pip diesen gewalttätigen Wichser geheiratet hat.
In meiner Vorstellung erscheint Michaela blass und hager. Es quält sie, mich zu sehen, weil ihr bewusst geworden ist, wie unglaublich gut wir zusammengepasst haben, und sie bereut, Brad statt Chris gewählt zu haben. Er hat sich als einer dieser vor allem abwesenden Ehemänner entpuppt. Ich bin es, der die Unterhaltung abbricht, weil ich weitermuss, um meine wieder schwangere Frau zum Mittagessen zu treffen. Ich küsse Michaela ganz unschuldig auf die Wange und gehe mit meinem kleinen Sohn oder meiner Tochter an der Hand davon. Ich drehe mich nicht mehr nach ihr um. Sie sieht uns nach, mit Tränen in den Augen hält sie die Hand ihres Kindes fest, bis wir verschwunden sind.
Ich liebe diesen Tagtraum. Ich spule ihn immer wieder ab.
5. Juni, 23 Uhr
Kathy hat für die nächsten Monate Unterrichtspraktikum und arbeitet deshalb nur noch eine Schicht die Woche. Stuart Green hat gekündigt. Bianca meint, dass er angeblich irgendwo einen »Erwachsenenjob« gefunden hat. Bianca meint auch, dass er und Kathy nicht mehr zusammen sind. Es ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal. Bianca unternimmt immer wieder unverhohlene Versuche, mich mit ein paar ihrer Kleinen von der Arbeit zu verkuppeln – allen voran Donna und Alana. Beide sind sechzehn, wirken aber älter. Ich verstehe mich ganz gut mit ihnen. Tatsächlich verstehe ich mich mit den meisten Leuten ganz gut, wenn es sein muss.
Und ich bin einsam, richtig einsam. Selbst eine Freundin, die mir nicht besonders nahesteht, wäre besser als gar keine Freundin. Es hat den Anschein, als würde diese Dürreperiode
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