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Wunder

Wunder

Titel: Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.J. Palacio
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irgendein arzt habe ihren eltern gesagt, die chance, dass bei einem menschen genau diese kombination von syndromen, die für auggies gesicht verantwortlich sind, auftreten würde, liege bei eins zu vier millionen. heißt das nicht, dass das universum eine einzige, riesige lotterie ist? du kaufst dir ein los, wenn du zur welt kommst. und dann ist es reiner zufall, ob es ein gutes oder ein schlechtes los ist. es ist alles bloß glück.
    in meinem kopf kreist alles darum, aber dann kommen andere, versöhnlichere gedanken und beruhigen mich wie eine kleine terz in einem durakkord. nein, nein, es ist nicht alles bloß zufall. wenn alles wirklich nur zufall wäre, würde das universum uns einfach komplett im stich lassen. und das tut das universum nicht. es kümmert sich um seine verletzlichsten geschöpfe auf eine art und weise, die wir nicht wahrnehmen können. wie eltern, die dich bedingungslos vergöttern. wie eine große schwester, die sich schuldig dafür fühlt, deinetwegen menschlich zu sein. wie ein kleiner junge mit einer rauen tiefen stimme, dessen freunde ihn deinetwegen verlassen haben. und sogar wie ein mädchen mit pinkfarbenen haaren, das dein bild in seinem portemonnaie bei sich trägt. vielleicht ist das ganze eine große lotterie, aber das universum gleicht am ende alles wieder aus. das universum kümmert sich um all seine vögel.

 
     
     
     
    6
     
    August
     
     
    Welch ein Meisterwerk ist der Mensch !
    wie edel durch Vernunft ! wie unbegrenzt in Fähigkeiten !
    in Gestalt und Bewegung wie bedeutend
    und wunderwürdig ! im Handeln wie ähnlich einem Engel ! im Begreifen wie ähnlich einem Gott !
    die Zierde der Welt ! …
     
    Shakespeare, »Hamlet«

Der Nordpol
     
    Die Knollenlampe war ein Riesenhit beim Naturwissenschafts-Tag. Jack und ich haben eine Eins dafür gekriegt. Es war die erste Eins, die Jack in diesem Jahr überhaupt in einem Fach bekommen hat, deshalb ist er auch total ausgeflippt.
    Alle Wissenschaftsprojekte waren auf Tischen in der Sporthalle aufgestellt. Es war dieselbe Aufstellung wie bei der Geschichte mit dem ägyptischen Museum damals im Dezember, nur dass diesmal Vulkane und Moleküldioramen auf den Tischen standen und nicht Pyramiden und Pharaonen. Und statt unsere Eltern herumzuführen, damit sie sich auch alle anderen Ausstellungsstücke anschauen konnten, mussten wir diesmal bei unseren Tischen stehen bleiben, während alle Eltern durch den Raum spazierten und nach und nach bei uns vorbeikamen.
    So sieht die Sache in Zahlen aus: Sechzig Kinder im Jahrgang ergeben sechzig Elternpaare – und das schließt die Großeltern noch nicht mal mit ein. Das macht also ein Minimum von einhundertzwanzig Augenpaaren, die irgendwann ihren Blick auf mich richten. Augen, die nicht so an mich gewöhnt sind, wie die Augen ihrer Kinder es inzwischen sind. Es ist so wie bei Kompassnadeln, die immer nach Norden zeigen, egal, welchen Weg man einschlägt. All diese Augen sind Kompassnadeln, und für sie bin ich der Nordpol.
    Das ist der Grund, warum ich nach wie vor keine Schulveranstaltungen mag, die die Eltern miteinbeziehen. Ich hasse sie nicht mehr so sehr wie zu Beginn des Schuljahrs. Wie das Thanksgiving-Festival: Das war am schlimmsten, glaube ich. Damals musste ich mich zum ersten Mal allen Eltern gleichzeitig stellen. Danach kam das ägyptische Museum, aber das war okay, weil ich mich als Mumie verkleiden konnte und niemandem aufgefallen bin. Dann kam das Winterkonzert, das ich total gehasst habe, weil ich im Chor mitsingen musste. Nicht nur kann ich überhaupt nicht singen, ich hatte noch dazu das Gefühl, direkt auf dem Präsentierteller zu stehen. Die Neujahrs-Kunstaustellung war nicht ganz so schlimm, aber es war immer noch ätzend. Da wurden unsere Bilder in der gesamten Schule in den Fluren aufgehängt, und die Eltern kamen und schauten sie sich an. Es war, als würde die Schule noch mal von vorn anfangen, weil ständig nichtsahnende Erwachsene auf der Treppe an mir vorbeigingen.
    Na ja, es ist nicht so, als würde es mir was ausmachen, dass die Leute auf mich reagieren. Wie ich es schon tausend Mal gesagt hab: Ich bin inzwischen dran gewöhnt. Ich lass das nicht an mich ran. Wie wenn man rausgeht und es ein bisschen nieselt. Für so’n bisschen Nieseln zieht man sich keine Gummistiefel an. Man macht noch nicht mal den Regenschirm auf. Man läuft einfach durch, und es fällt einem kaum auf, wie einem die Haare nass werden.
    Aber in so einer riesigen Sporthalle voller Eltern

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