Wunder
echt sauer auf Via. Die beiden hatten einen gewaltigen Krach. Ich konnte hören, wie sie sich in Vias Zimmer gegenseitig anschrien. Meine bionischen Lobot-Ohren konnten hören, wie Mom sagte: »Was ist denn in letzter Zeit mit dir los, Via? Du bist launisch und mundfaul und verschlossen …«
»Was ist so schlimm daran, wenn ich dir von so einem dämlichen Stück nichts erzähle?« Via kreischte regelrecht. »Ich hab nicht mal ne Sprechrolle!«
»Aber dein Freund! Willst du nicht, dass wir ihn uns anschauen?«
»Nein! Will ich nicht!«
»Brüll mich nicht an!«
»Du hast zuerst gebrüllt! Lass mich einfach in Ruhe, okay? Du bist doch mein ganzes Leben lang so gut darin gewesen, mich in Ruhe zu lassen! Warum du dir jetzt ausgerechnet die High School aussuchst, um dich für mich zu interessieren, weiß ich auch nicht …«
Was Mom darauf antwortete, weiß ich nicht, denn anschließend wurde alles sehr still, und selbst meine bionischen Lobot-Ohren konnten kein Signal mehr auffangen.
Meine Höhle
Beim Abendessen schienen sie sich wieder vertragen zu haben. Dad war noch spät bei der Arbeit. Daisy schlief. Sie hatte sich vor einigen Stunden übergeben, und Mom hatte einen Termin beim Tierarzt für den nächsten Morgen gemacht.
Wir saßen zu dritt am Tisch und niemand sprach.
Schließlich sagte ich: »Sehen wir denn nun Justin in dem Stück?«
Via antwortete nicht, sondern schaute nur auf ihren Teller.
»Weißt du, Auggie«, sagte Mom leise. »Ich hatte nicht gewusst, was für eine Art Stück das ist, und es wäre wirklich nicht interessant für Kinder in deinem Alter.«
»Also bin ich nicht eingeladen?«, fragte ich und schaute Via an.
»Das hab ich nicht gesagt«, antwortete Mom. »Ich glaube einfach nur nicht, dass du viel Spaß daran hättest.«
»Du würdest dich total langweilen«, sagte Via, als würde sie mir irgendwas vorwerfen.
»Gehst du mit Dad hin?«, fragte ich.
»Dad wird hingehen«, sagte Mom. »Ich bleibe zu Hause bei dir.«
»Was?«, schrie Via Mom an. »Na toll! Dafür, dass ich ehrlich war, bestrafst du mich also damit, dass du jetzt nicht kommst?«
»Du warst es doch, die nicht wollte, dass wir überhaupt kommen, weißt du noch?«, erwiderte Mom.
»Aber jetzt, wo ihr davon wisst, will ich natürlich, dass ihr kommt!«, sagte Via.
»Also, ich muss hier die Gefühle von allen berücksichtigen, Via«, sagte Mom.
»Was meint ihr zwei eigentlich?«, schrie ich.
»Gar nichts«, platzten beide wie aus einem Mund heraus.
»Es geht nur um etwas an Vias Schule, das nichts mit dir zu tun hat«, sagte Mom.
»Du lügst«, sagte ich.
»Wie bitte?«, sagte Mom erschrocken. Sogar Via sah überrascht aus.
»Ich hab gesagt, du lügst!«, rief ich. »Du lügst!«, schrie ich Via an und stand auf. »Ihr seid beide Lügner! Ihr lügt mir beide ins Gesicht, als wär ich ein Idiot!«
»Setz dich hin, Auggie!«, sagte Mom und griff nach meinem Arm.
Ich riss ihn weg und zeigte auf Via.
»Du glaubst, ich weiß nicht, was los ist?«, brüllte ich. »Du willst bloß nicht, dass deine hippen neuen High-School-Freunde mitkriegen, dass dein Bruder eine Missgeburt ist!«
»Auggie!«, brüllte Mom. »Das ist nicht wahr!«
»Hör auf, mich anzulügen, Mom!«, kreischte ich. »Hör auf, mich wie ein Baby zu behandeln! Ich bin nicht zurückgeblieben! Ich weiß, was los ist!«
Ich rannte über den Flur in mein Zimmer und knallte die Tür so laut hinter mir zu, dass ich hören konnte, wie es anschließend noch eine Weile leise im Türrahmen knackte. Dann ließ ich mich auf mein Bett fallen und deckte mich zu. Ich warf meine Kissen über mein abstoßendes Gesicht und stapelte dann all meine Stofftiere auf die Kissen, sodass ich wie in einer kleinen Höhle lag. Wenn ich immer mit einem Kissen vor meinem Gesicht herumlaufen könnte, würde ich es tun.
Ich weiß nicht einmal, warum ich so wütend geworden war. Zu Beginn des Abendessens war ich gar nicht richtig wütend gewesen. Nicht mal traurig. Aber dann brach es ganz plötzlich irgendwie aus mir heraus. Ich wusste, dass Via nicht wollte, dass ich zu ihrem blöden Stück mitkam. Und ich wusste, warum.
Ich nahm an, dass Mom gleich hinter mir her in mein Zimmer kommen würde, aber sie tat es nicht. Ich wollte, dass sie mich im Inneren meiner Höhle aus Stofftieren fand, also wartete ich noch eine Weile, aber selbst nach zehn Minuten kam sie nicht hinter mir her. Ich war ziemlich überrascht. Sie schaut immer nach mir, wenn ich in meinem Zimmer bin und
Weitere Kostenlose Bücher