Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
anderen Zimmer«, sagte er sich, und sobald der Geigenunterricht
beendet war, schlüpfte er mit den Jungen hinaus und hinter einem Lehrer in den
anstoßenden Raum hinein.
Dort lernte ein größerer Junge, wie man
auf dem Klavier spielen mußte. Auch er hatte Noten vor sich stehen, aber den
Zusammenhang zwischen dem Spiel und den Noten vermochte Klaus auch hier nicht
herauszufinden.
Von Klasse zu Klasse lief Klaus, denn
in den späten Stunden kamen die fortgeschrittenen Schüler zum Unterricht, und
Klaus hörte zum ersten Male die großen Werke unserer Meister. Seine Augen
glänzten und seine Wangen brannten. Und als am Abend die letzten Schüler und
Lehrer das Haus verlassen hatten, da war er wie außer sich. Von Zimmer zu
Zimmer rannte er, um mit den Fingern über die schimmernden Tasten zu streichen
und die Notenbücher in den Händen zu halten und immer wieder die klingenden
Namen zu lesen, die auf den Notenbüchern standen: Beethoven! Brahms! Mozart!
Als er jedoch am nächsten Morgen aus
einem unruhigen Schlummer erwachte, wußte er, was er zu tun hatte. Er mußte
ganz von vorn anfangen. Mit den kleinsten Schülern mußte er beginnen, die Noten
zu lesen.
Noch war er allein im Hause. Darum
packte er alles aus, was sein Beutel enthielt: einen Rest Brot und Speck von
den Schiffersleuten. Wenn er sparsam war, konnte er noch eine ganze Weile damit
auskommen! Nachdem er aber hastig gefrühstückt hatte, stellte er sich am Fuße
der Treppe auf und prüfte, ob seine Tarnkappe noch fest auf den Haaren saß. Und
als er einige kleine Jungen mit ihren Geigenkästen kommen sah, folgte er ihnen
in ihren Übungsraum.
Als aber der Lehrer begann, die Zeichen
auf die Wandtafel zu schreiben und den Kleinen zu zeigen, was sie bedeuten und
wo sie auf dem Klavier und auf der Geige zu finden sind, da fiel es wie
Schuppen von den Augen des Jungen. Er lernte so schnell, daß er in wenigen
Stunden die kleinen und größeren Schüler einholte und überflügelte.
So nahm Klaus alles an Kenntnissen auf,
was ihm Tag für Tag in dieser Schule begegnete. Bald lernte er die Noten
fließend vom Blatt zu spielen. Wenn am Abend die Tür des Hauses hinter dem
letzten Lehrer abgeschlossen wurde, dann stellte sich Klaus vor einen der
Notenständer, um sich nach einer ›Schule für das Violinspiel‹
vorwärtszuarbeiten. Er spielte stundenlang die Übungen, die er am Tage erlernt
hatte, oder übte sich auf der Wandtafel im Notenschreiben, bis die Müdigkeit
ihn überwältigte und er sich in einer Ecke der Klasse zum Schlaf niederlegte.
Klaus lebte wie in einer herrlichen, ja
überirdischen Welt. Seine Verzauberung bedrückte ihn überhaupt nicht mehr. Aber
er hatte auch keine Gedanken mehr für die kleine Dott, und nur noch wenig war
von der Erinnerung an die Geschwister und die Mutter lebendig. — Er fürchtete
überhaupt nichts mehr, als nur das eine: daß die köstlichen Stunden in diesem
Hause ein Ende nehmen könnten! —
So waren mehrere Tage vergangen, als er
an einem späten Nachmittag in der Klasse der Fortgeschrittenen versuchte,
zusammen mit einem Geigenspieler und dem Lehrer am Klavier ein Musikstück vom
Blatt zu spielen. »Sonate für Violine und Klavier« stand auf dem Notenblatt.
Zitternd vor Erregung wartete der Junge auf den Einsatz der Geige. Und dann,
nach den ersten Takten auf dem Klavier, setzte er zusammen mit dem Schüler ein.
Während die beiden Geigen nun um die
Wette jubelten und sangen, schwang sich plötzlich eine Krähe auf das
Fensterbrett und blickte mit ihren schwarzen Augen suchend durch das Zimmer,
dessen Fenster offenstand. Der Lehrer und der Geigenschüler wandten dem Fenster
den Rücken, Klaus aber gewahrte von der Seite sogleich die Ankunft des Vogels.
Die Krähe erinnerte ihn an etwas fast Vergessenes.
Er versuchte weiterzuspielen, als habe
er nichts gesehen. Im Geiste aber sah er die zierliche Gestalt der kleinen Dott
vor sich, wie sie ihm zum Abschied zuwinkte. Klaus preßte die Lippen zusammen.
Den Blick fest auf die Noten gerichtet, versuchte er, nicht aus dem Takt zu
kommen.
Die Krähe aber ließ ihn nicht aus den
Augen. Aufgeregt sprang sie umher und flatterte ein Stückchen vom Fenster fort
und wieder zurück, so, als wolle sie ihm zu verstehen geben, er möge doch
herauskommen und ihr folgen! — »Cornix ist es nicht«, überlegte Klaus, während
er den Vogel aus den Augenwinkeln beobachtete. »Aber ganz sicher ist es ein
Bote von Dott.« — Sie wollte ja im Osten mit ihm zusammen nach dem
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