Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
Bild. Das Erste, was er erkennen konnte, war das Porträt Hitlers in einem goldenen Rahmen, aus dem der Führer übergroß herunterstarrte. Daneben Bücher, unendlich viele Bücher, teilweise übereinandergestapelt, die eine ganze Wand einnahmen. Er saß vor einem schweren Schreibtisch aus dunklem Holz, der überladen war mit Dokumenten und fingerdicken Akten, die von Gummibändern gehalten wurden.
»Herr Kriminalkommissar Brandenburg, Reichssicherheitshaupt V, eingesetzt für Verbrechensbekämpfung in Paris, nehme ich an?«
Nikolas fuhr herum. Die Aussprache des Mannes war klar und deutlich, fast aristokratisch. Er betonte jede Silbe genau, verschluckte keinen Buchstaben. Als Nikolas den Offizier erblickte, der mit durchgedrückten Beinen hinter ihm stand, nahm er sofort Haltung an, streckte die Hand zum Hitlergruß. »Jawohl, Herr General von Stülpnagel.«
Die blonden Haare des Mannes waren zu einem akkuraten Seitenscheitel gekämmt. Zwei dicke Lachfalten neben dem Oberlippenbart zogen sich durch das fein geschnittene Gesicht. Das weiße Hemd trat unter den mit goldenem Eichenlaub besetzten Kragenspiegeln der Wehrmachtsuniform hervor.
Mit einer einladenden Geste deutete er auf den Sessel. »Bitte setzten Sie sich wieder, Herr Kriminalkommissar.«
An seiner Uniform stimmte jedes Detail punktgenau, alle Orden glänzten, in seinen Stiefeln spiegelte sich die Deckenbeleuchtung.
»Ich bin mir sicher, dass Sie eine unangenehme Nacht hatten«, sagte von Stülpnagel ruhig und öffnete die Tür einer kleinen Kommode. Zum Vorschein kamen die verschiedensten Sorten von Alkohol. »Ich möchte mich von Herzen bei Ihnen für diese Behandlung entschuldigen. Aber Sie verstehen sicherlich, dass jedwede andere Möglichkeit zu viele Fragen aufgeworfen hätte, denen wir aus dem Weg gehen müssen.« Der Offizier schenkte Cognac in zwei Kristallgläser. Mit einem Blitzen in den Augen reichte er Nikolas eines.
»Ein Courvoisier Imperial, 25 Jahre gereift«, schwärmte er, schwenkte das Glas in seiner Hand und fächerte sich den Geruch zu. »Dieses Bouquet aus Vanille und Schokolade, dazu eine seidige Note aus Honig und Aprikose passt perfekt in die Charakteristika seiner Struktur. Ein wirklich ausgezeichneter Cognac mit leicht rauchigem Geschmack im Abgang.« Er nippte an seinem Glas und lächelte. »Magnifique.«
Jedem anderen hätte Nikolas jetzt Arroganz und Affektiertheit unterstellt; der General hingegen wollte ihn nicht belehren, er war einfach nur enthusiastisch und genoss die kleinen Freuden des Lebens. Nikolas ging in Gedanken durch, was er über ihn wusste. Natürlich, ein kultivierter Mensch war er. Stammte aus einer alten adeligen Soldatenfamilie, seit 1942 Militärbefehlshaber in Frankreich. Somit der höchste Repräsentant des Deutschen Reiches. Aber warum zum Teufel hatte er ihn in sein Büro bringen lassen?
Nikolas kippte die rotbraune Flüssigkeit seine Kehle hinunter und verzog das Gesicht. Der Cognac floss seine Speiseröhre hinunter, verdrängte die Kälte und hinterließ sofort ein wohliges Gefühl in seinem Körper.
Der General lächelte amüsiert, ging um seinen Schreibtisch und ließ sich auf dem großen mit dunkelrotem Leder bezogenen Sessel nieder. »Sie haben natürlich recht. Egal, wie teuer dieses Getränk ist, wie lange es gereift ist oder wie köstlich es schmeckt – es ist und bleibt ein Weinbrand.«
Nikolas lehnte sich nach vorn und spähte aus dem Fenster. Er konnte mehrstöckige Gebäude erkennen, die sich wie eine Wand hinter einer breiten Kreuzung aufbauten. Aus einigen Fenstern strahlte Licht. Sie stachen wie Glühwürmchen aus der Nacht heraus. »Herr General, wenn Sie mir diese Frage erlauben: Wo bin ich?«
»Sie befinden sich im Hôtel Majestic, dem Hauptsitz des Militärbefehlshabers.«
»Und was haben Sie mit mir vor?«
Von Stülpnagel lehnte sich zurück, legte eine Hand ans Kinn. »Sie stellen die richtigen Fragen, Herr Kriminalkommissar, das gefällt mir. Aber diese Antwort kann ich Ihnen nicht geben, das hängt ganz von Ihnen ab.«
Nikolas schaute an sich herunter. Das weiße Hemd samt Unterhemd war an etlichen Stellen vollgesogen mit Blut, mehrere Knöpfe waren abgerissen und über die Blessuren in seinem Gesicht mochte er gar nicht nachdenken. »Ich verstehe nicht.«
Von Stülpnagel holte tief Luft. »Primär möchte ich Ihnen sagen, dass dieser Raum abhörsicher ist. Wir können also absolut frei reden. Sekundär möchte ich betonen, dass der Inhalt dieses Gesprächs
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