. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
nicht mehr loslassen konnten, wenn sie sich erst mal darin verbissen hatten.
Valerie … Er hatte viel an sie denken müssen.
Ein Müllwagen kam rumpelnd heran und hielt draußen vor dem Verschlag. Taylor steckte den Kopf durch die Tür. »Bringt das Zeug möglichst weit nach oben, Jack! Ich komme gleich nach.« Er deutete mit einer vagen Geste auf die äußerste Ecke der Deponie und ging zurück an den Tisch, um seinen Tee auszutrinken.
Aus einiger Entfernung konnte man das Brummen des Diesels hören, als die Hydraulik angeschaltet wurde. Die Mulde des Müllwagens hob sich in die Schräglage und entleerte ihre übelriechende Ladung auf den bereits vorhandenen Abfallberg.
Dieser selbe Montag war für Morse der erste Tag einer langen und, wie sich herausstellen sollte, äußerst unergiebigen Arbeitswoche. Während des Wochenendes war in mehreren Kinos und Clubs wieder eine Reihe von Brandsätzen gezündet worden. Die gesamte Polizeispitze, er selbst eingeschlossen, war eilig zu einer Konferenz zusammengerufen worden. Der Einsatz aller nur verfügbaren Kräfte schien geboten. In einer umfassenden Aktion sollten sämtliche verdächtigen Personen, von mutmaßlichen Angehörigen der IRA bis hin zu Leuten mit bekannt anarchistischen Neigungen, aufgesucht und verhört werden. Der Chief Constable wünschte ein schnelles Ergebnis.
Am Freitagmorgen, noch vor Tagesanbruch, wurde überraschend eine Razzia angesetzt, die zur Festnahme von mehreren Personen führte. Im Laufe des Vormittags wurden acht der Festgenommenen unter Anklage gestellt. Sie lautete auf Verschwörung mit dem Ziel menschengefährdender Brandstiftung. Morses Beitrag zu diesem erfolgreichen Wochenabschluß war buchstäblich Null.
Kapitel Fünf
Sie hat sich abgekehrt, doch mit der herbstnen Wette r pracht
Für viele Tage meiner Bildkraft aufgezwungen,
Für viele Tage, viele Stunden
T. S. Eliot, La Figlia Che Piange
Am Sonntag morgen erwachte Morse mit einem Gefühl dumpfen Unbehagens. Dann stellten sich die ersten quälenden Gedanken ein. Der Fall Taylor! Es gab genug zu tun, er mußte sich nur entschließen anzufangen. Aber gerade darin lag ja die Schwierigkeit. Es war wie mit einem Brief, den zu schreiben man von Tag zu Tag vor sich herschob, so daß das an sich nicht übermäßig schwierige Vorhaben sich nach und nach zu einem Riesenproblem auszuwachsen begann. Ganz zu Anfang hatte er mal einen Anlauf genommen und sich brieflich mit dem Direktor der Roger-Bacon-Gesamtschule in Verbindung gesetzt. Dieser war offenbar bemüht zu helfen und hatte prompt geantwortet, doch Morse hatte es bei diesem ersten Schritt belassen und nichts weiter unternommen. Angesichts der nüchternen, eintönigen Personenüberprüfungen, zu denen er im Zusammenhang mit der Serie von Brandanschlägen in der letzten Woche hinzugezogen worden war, hatten sich seine genialischen Hypothesen zum Fall Taylor sehr schnell in Luft aufgelöst. Was ihn jetzt zögern ließ, die Vermißtensache mit Schwung anzugehen, war die undeutliche Ahnung, daß sich die Nachforschungen nach der verschwundenen Valerie nicht viel interessanter gestalten würden. Aber man hatte ihm den Fall übertragen, und er durfte nicht länger untätig bleiben.
Schon halb zehn. Er hatte Kopfschmerzen und nahm sich vor, heute jedem Alkoholgenuß zu entsagen. Mißgelaunt drehte er sich noch einmal auf die Seite, vergrub seinen Kopf im Kissen und bemühte sich, an nichts mehr zu denken. Doch Morse war, was seine Fähigkeit zum Versenken in einen Zustand von Unbewußtheit anging, nicht besonders begabt. Nach einer halben Stunde gab er es auf, stieg aus dem Bett, ging ins Badezimmer, wusch und rasierte sich und machte sich dann auf den Weg, um die Sonntagszeitung zu holen. Es waren etwa zwanzig Minuten zu Fuß, und er genoß es, an der frischen Luft zu sein. Seine Kopfschmerzen ließen schon nach, und während er beinahe beschwingt ausschritt, überlegte er, ob er die News of the World oder die Sunday Times kaufen solle. Das Problem stellte sich ihm jede Woche neu und war schon deswegen prinzipiell unlösbar, weil es Ausdruck für den Zwiespalt seines Charakters war, bei dem die Lust am Derben eine widerspruchsvolle Verbindung mit dem Genuß des Sublimen eingegangen war. Je nach Laune kaufte er mal die eine, mal die andere Zeitung – heute kaufte er beide.
Um halb zwölf schaltete er sein Kofferradio ein, um sich im dritten Programm die Plattenkritik anzuhören, und setzte sich dann, eine Tasse Kaffee in
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