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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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ihm eingelassen zu haben. »Schmeiß sie raus, und sorg dafür, daß sie draußen bleibt – mir kommen keine Weiber mehr ins Haus.« Sie nahm unsanft seine Hände von ihren Schultern.
    »Sie geht schon von selbst – keine Angst. Sie hat ja gar nicht vor hierzubleiben. Es ist nur schwer für sie, weil sie außer mir niemanden kennt, wo sie unterkommen kann, und sie ist ja fast noch ein Kind. Dir ist es doch früher mal ähnlich gegangen, da könntest du ruhig ein bißchen Verständnis für sie haben.«
    »Heute abend ist sie weg.«
    »Was soll das heißen?«
    »Genau das, was ich sage.«
    »Jetzt mach keinen Ärger. Ich bin sowieso schon viel zu spät dran. Wenn ich mich nicht vorsehe, bin ich den Job bald los. Also, sei vernünftig.«
    »Wenn du nicht dafür sorgst, daß sie abhaut, bist du dein Zimmer gleich mit los.«
    Der junge Mann zog eine schmutzige Fünf-Pfund-Note aus seiner Hosentasche. »Jetzt gibst du hoffentlich eine Zeitlang Ruhe und hörst auf mit dem Gekeife.«
    Die Frau nahm das Geld, sah ihn jedoch unverwandt an und wiederholte: »Ich will, daß sie verschwindet.«
    »Ja, ja.«
    »Wie lange ist sie schon da?«
    »Ein, zwei Tage.«
    »Du willst mich wohl für dumm verkaufen. Glaubst du, ich habe die ganze Zeit nichts gemerkt? Sie steckt schon fast zwei Wochen oben bei dir.«
    Der junge Mann knallte die Haustür hinter sich zu, lief die Straße hinunter und wandte sich dann nach rechts in die Upper Richmond Road.
     
    Selbst gemessen an seinen eigenen bescheidenen Ansprüchen, hatte Mr. George Taylor nicht viel erreicht im Leben. Bis vor fünf Jahren war er als ungelernter Arbeiter in Cowley bei Oxford in einem Stahlwerk beschäftigt gewesen. Dann hatte das Management gewechselt, und es wurden viele entlassen. Er hatte die Abfindung, die sie ihm anboten, genommen und fast ein Jahr lang als Bulldozerfahrer im Straßenbau gearbeitet. Danach hatte er nur hin und wieder mal einen Gelegenheitsjob gehabt und mit Trinken und Spielen angefangen, um die Zeit totzuschlagen. Irgendwann hatte es zu Hause einen Riesenkrach gegeben mit dem Ergebnis, daß er sich wieder eine feste Anstellung gesucht hatte. Jeden Morgen um Viertel nach sieben verließ er das von der Gemeinde Kidlington gemietete einfache Reihenhaus, stieg in seinen altersschwachen grünen Morris und machte sich auf den Weg nach Oxford. Er fuhr die Woodstock Road hinunter, bog dann nach rechts zum Kanal und folgte zuletzt einer Betonpiste, die hinter der Eisenbahnlinie über offenes Feld zum städtischen Müllabladeplatz von Oxford führte. Hier arbeitete er. Während der vergangenen drei Jahre hatte er keinen Tag gefehlt. Auch an dem Tag, als Valerie verschwand, war er hier draußen gewesen.
    Mr. Taylor war kein beredter Mann und hatte nie versucht, die Tatsache, daß die Arbeit auf dem Müllplatz ihm lag, in Worte zu fassen oder zu erklären. Jeder andere hätte vermutlich seine Schwierigkeiten damit gehabt: Tag für Tag umgeben von dem, dessen sich die Stadt entledigt hatte, verdorbenen Lebensmitteln, Kartoffelschalen, alten Matratzen, Unrat, und dazwischen die unvermeidlichen Ratten und die Möwen, von denen keiner wußte, woher sie eigentlich kamen. Aber er fühlte sich hier wohl.
    Am Montag, den 15., saß er gegen Mittag zusammen mit seinem langjährigen Arbeitskollegen, einem Mann, dessen Haut aussah, als habe der Schmutz sich für immer in sie hineingefressen, in dem hölzernen Verschlag, dem einzigen Ort, der Zuflucht bot vor dem stinkenden Müll ringsum. Sie hatten Mittagspause, aßen ihre Brote und spülten die Bissen mit dunkelbraunem, unappetitlich aussehendem Tee hinunter. Während sein Kollege sich in die Rennseite der Sun vertieft hatte, war George Taylor in Gedanken bei dem Brief. Sein Gesicht, dem man ansah, daß er jemand war, der sich in die Dinge schickte, wirkte müde. Dieser Brief hatte alles wieder aufgerührt. War es richtig gewesen, daß er seine Frau überredet hatte, damit zur Polizei zu gehen? Er wußte es nicht. Nicht lange, und sie würden wieder vor der Tür stehen, es wunderte ihn eigentlich, daß sie nicht schon längst dagewesen waren. Seine Frau würde sich wieder aufregen, und sie hatte sowieso seit damals keinen Tag mehr Ruhe gefunden. Schon komisch, daß der Brief so kurz nach dem Tod des Inspectors gekommen war. Hatte einen cleveren Eindruck gemacht, dieser Ainley. War erst drei Wochen her, daß er bei ihnen gewesen war. Kein offizieller Besuch – natürlich nicht. Er gehörte wohl zu denen, die eine Sache

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