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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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schnell. Da muß einer kein notorischer Krimineller sein. Was er sich hat zuschulden kommen lassen, ist möglicherweise eine Bagatelle, vielleicht nicht einmal strafrechtlich von Belang, aber gerade weil unser Mann kein Verbrecher ist, fürchtet er sich davor, daß etwas herauskommt – weil er sich schämt.«
    »Wie wenn einer in einer Gaststätte das Besteck hat mitgehen lassen …«
    »Ich gebe Ihnen recht, Lewis – das wäre natürlich ein sehr guter Grund, sich furchtbar zu schämen. Im siebten Kreis von Dantes Hölle finden sich neben den Verrätern, den Massenmördern und den Kindesmißhandlern bestimmt auch die Besteckklauer.« Er beugte sich vor. »Sie sind ja schon auf dem richtigen Weg, Lewis, aber es wäre sehr nützlich, wenn Sie sich vielleicht dazu bereitfinden könnten, sich auf eine noch tiefere Stufe menschlicher – oder besser männlicher – Schwäche und Unvollkommenheit zu begeben, rein gedanklich natürlich.«
    »Denken Sie an so etwas wie ein außereheliches Verhältnis, Sir?«
    »Mein Gott, Lewis, ich bewundere, wie delikat Sie zu formulieren verstehen. Ein außereheliches Verhältnis – ja, ganz genau. Mit einem knackigen jungen Ding ins Bett – Ehe, Familie, Beruf, alles ist vergessen; das einzige, was zählt, ist die Lust in den Lenden. Während die brave kleine Frau zu Hause die Socken wäscht und die Hemden bügelt, damit der Göttergatte am nächsten Tag wieder wie aus dem Ei gepellt aussieht. In Ihren Worten eben, Lewis, da klang das so harmlos und ungefährlich, so ordentlich, fast wohlanständig, so wie ›einen Schrebergarten haben‹. Und vielleicht ist es oft auch tatsächlich harmlos, ändert im Grunde nichts, bringt keine Unruhe. Einmal schnell rein und wieder raus, danach ein paar Gewissensbisse beim Gedanken an die Frau zu Hause, einige Tage etwas Angst, und dann ist auch schon alles vergessen. Man hat sich hinreißen lassen und beschließt, daß so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommen wird. Schluß und aus. Nur, Lewis, was ist, wenn jemand Drittes etwas mitbekommen hat?«
    »Das wäre schrecklich, Sir.« Es schien ihm so aus tiefstem Herzen zu kommen, daß Morse ihn überrascht ansah.
    »Haben Sie mal …?«
    Lewis neigte leicht den Kopf und lächelte versonnen. Wie lange er daran schon nicht mehr gedacht hatte …
    Das Telefon klingelte. Morse hob ab. »Wie? Ja, gut … gut … sehr gut … Und vielen Dank.« Er legte auf. Seine einsilbigen Äußerungen waren für Lewis nicht sehr erhellend gewesen, und so fragte er den Chief Inspector, mit wem er gesprochen habe. »Dazu komme ich gleich, Sergeant. – Wo war ich eben stehengeblieben? Ah ja, ich weiß schon. Was ich noch sagen wollte, war folgendes: Ich habe seit langem den Verdacht, und Ihr halbes Eingeständnis – ich hoffe, ich trete Ihnen damit nicht zu nahe – hat mich darin bestärkt, daß Ehebruch noch sehr viel häufiger ist, als selbst unsere streitbaren öffentlichen Moralapostel gemeinhin behaupten. Man erfährt doch sowieso immer nur von den paar Unglücklichen, die in flagranti erwischt werden. Die Mehrzahl kommt ungeschoren davon; und wie viele das sind, kann man nur raten.«
    »Ich sehe nicht ganz, worauf Sie eigentlich hinauswollen, Sir«, wagte Lewis einzuwenden.
    »Ganz einfach.« Morse holte tief Luft und mußte sich bemühen, es nicht allzu dramatisch klingen zu lassen. »Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß Phillipson Ehebruch begangen hat – und zwar mit Valerie Taylor.«
    Lewis pfiff leise durch die Zähne. Es brauchte einen Moment, bis er die Mitteilung verdaut hatte, dann fragte er: »Wie sind Sie darauf gekommen, Sir?«
    »Durch mehrere Kleinigkeiten, und weil es das einzige ist, was Sinn macht.«
    »Ich kann das einfach nicht glauben, Sir. Es gibt da so eine Redensart. Ich bitte um Verzeihung, sie ist vielleicht etwas drastisch: Man scheißt nicht auf seine eigene Tü r schwelle. Sich mit Valerie Taylor einzulassen wäre für ihn doch viel zu riskant gewesen! Er der Direktor und sie eine Schülerin! Also das kann ich mir nicht vorstellen. So etwas täte nur ein Verrückter.«
    »Nein, nein, verrückt ist er nicht«, bestätigte Morse. »Aber wie ich Ihnen schon zu Anfang sagte, wir müssen, um verstehen zu können, was passiert ist, in die Vergangenheit zurückgehen, zum Beispiel in die Zeit, ehe er Direktor wurde.«
    »Aber da hat er sie noch gar nicht gekannt! Er hat doch vorher in Surrey gelebt.«
    »Schon richtig. Aber einem Amtsantritt geht in der Regel ein Vorstellungsgespräch

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