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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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ja jetzt übers Wochenende Zeit, in Ruhe noch einmal über alles nachzudenken und die Dinge mit ein bißchen mehr Abstand zu betrachten; und ich glaube«, seine Stimme klang auf einmal um mindestens eine Oktave tiefer, »daß ich jetzt allmählich dahinterkomme, was es mit Valerie Taylors Verschwinden auf sich hat.«
    Lewis machte mit feinem Gespür bei Morse erneut erste Anzeichen von Selbstüberschätzung aus und versuchte, ihn wieder auf den Teppich zu bringen. Vielleicht war es ja noch rechtzeitig.
    »Peters hat inzwischen einen schriftlichen Bericht geschickt, Sir – wegen des zweiten Briefs. Ich hatte Ihnen am Freitag das Ergebnis schon vorweg am Telefon gesagt.«
    Die Bemerkung schien keinerlei dämpfende Wirkung auf Morse zu haben, eher im Gegenteil. »Den Bericht können Sie vergessen, Lewis. Hören Sie lieber zu, was ich Ihnen zu sagen habe.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und begann mit einer umfassenden Analyse des Falls Taylor. Lewis lauschte ihm, hin- und hergerissen zwischen Staunen und Verzweiflung.
    »Die Person, die mir die ganze Zeit über am meisten Kopfzerbrechen bereitet hat, war Phillipson. Ich will Ihnen auch erklären, wieso: weil von Anfang an zu erkennen war, daß er etwas zu verbergen hatte. Warum hätte er sich sonst die Mühe machen sollen, mich anzulügen?«
    »Daß er am Nachmittag des 10. Juni bei Blackwell war, stimmte aber«, warf Lewis ein.
    »Ja, aber dieser Nachmittag, an dem Valerie verschwand, ist relativ unwichtig. Es war ein Fehler, daß wir uns so darauf konzentriert haben. Wir hätten uns lieber für das interessieren sollen, was vorher war, und hätten ihre Vergangenheit durchleuchten müssen, um das Ereignis, die Begegnung oder was auch immer aufzuspüren, aus dem sich alles, was später passiert ist, entwickelt hat. Dieses eine Moment ist gleichsam der Schlüssel, Lewis – er läßt sich ohne Widerstand ins Schloß einführen und schließt problemlos. Die Tür öffnet sich … Kümmern wir uns also vorerst nicht mehr darum, wer Valerie wann zuletzt gesehen hat und von welcher Farbe das Höschen war, das sie am 10. Juni trug. Gehen wir mit unseren Nachforschungen hinter diesen Tag zurück.«
    »Und Sie denken, Sie haben den äh … Schlüssel gefunden?«
    Morse wurde auf einmal sehr ernst. »Ja, ich halte es jedenfalls für sehr wahrscheinlich. Und er hat mir, wie ich glaube, geholfen, den Angelpunkt dieses Falles zu erkennen: Macht. Irgendwo im Hintergrund gibt es jemanden, der einen andern mit irgend etwas in der Hand hat und unter Druck setzt.«
    »Sie meinen Erpressung?«
    Morse antwortete nicht gleich. »Ich bin mir noch nicht sicher, ob man es wirklich so nennen kann, aber möglich ist es schon.«
    »Und Sie halten Phillipson für das Opfer?«
    »Einen Schritt nach dem andern, Lewis! Versuchen wir, uns erst einmal klarzumachen, wie so eine Konstellation überhaupt entstehen kann. Stellen Sie sich vor, Sie haben etwas getan, was nicht ganz koscher ist. Sie sind damit durchgekommen; niemand weiß etwas – bis auf diese eine Person. Nun zu Ihrem Delikt. Sie haben also – sagen wir mal – einen Zeugen bestochen oder Beweise manipuliert, irgend etwas in der Richtung. Soweit einverstanden? Gut. Wenn die Geschichte herauskäme, müßten Sie mit Ihrer Entlassung rechnen und außerdem mit einem Gerichtsverfahren. Ihr Leben wäre ruiniert und das Ihrer Familie dazu. Sie würden also vermutlich eine ganze Menge tun, daß niemand etwas davon erfährt. Jetzt nehmen Sie einmal an, ich sei derjenige, der von der Sache Wind bekommen hat …«
    »Da säße ich aber ganz schön in der … Patsche.«
    »Ja, in der Tat. Und tiefer, als Sie vielleicht ahnen. Ich könnte jetzt ohne weiteres irgendwelche krummen Dinger drehen und Sie zwingen, mir beim Vertuschen zu helfen. Das wäre zwar für Sie gefährlich, aber Sie kommen nicht umhin zu akzeptieren, was ich Ihnen vorschlage. Ich wäre also Ursache, daß sich Ihre ohnehin unangenehme Situation weiter verschlimmert, indem ich Ihnen keine Wahl lasse, als Ihrem ersten Vergehen noch ein weiteres hinzuzufügen – für mich. Von nun an sind unser beider Geschicke untrennbar miteinander verbunden; jeder Versuch, den anderen zu verraten, würde bedeuten, sich selbst ans Messer zu liefern.«
    Lewis nickte höflich. Morses Ausführungen begannen ihn zu langweilen.
    »Kehren wir zurück zu unserem ersten Mann – dem, mit dessen Vergehen die Geschichte ihren Anfang genommen hat. So ein kleiner Schritt vom Wege, Lewis, das geht sehr

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