Wurzeln
den Hütten war von dem großen weißen Haus her gut einzusehen.
Unvermittelt stieß der Schwarze mit dem Finger gegen Kuntas Brust, und dabei sagte er: »Du – Toby!« Kunta glotzte verständnislos, und der Schwarze wiederholte mehrmals dieselben Worte. Allmählich begriff Kunta, daß der Schwarze ihm etwas in der toubob -Sprache verständlich zu machen suchte.
Als Kunta immer noch nicht verstand, wies der Schwarze mit dem Finger auf die eigene Brust. »Ich – Samson!« sagte er. »Samson!« Dann stieß er wieder gegen Kuntas Brust: »Du To – by! Toby. Masser sagt, du heißt Toby!«
Als Kunta dämmerte, was gemeint war, fiel es ihm schwer, sich nicht anmerken zu lassen, daß er verstanden hatte, und nicht laut hinauszuschreien: »Ich bin Kunta Kinte, erster Sohn von Omoro, dem Sohn des heiligen Mannes Kairaba Kunta Kinte!«
Über Kuntas Begriffsstutzigkeit verlor sein Bewacher die Geduld, zuckte fluchend die Achseln und führte ihn in eine andere Hütte, wo er ihm bedeutete, sich in einer Blechwanne zu waschen, in der etwas Wasser war. Er warf einen Lappen und einen braunen Klumpen hinein, der ähnlich roch wie die Seife, die die Frauen von Juffure aus Fett und der Lauge von Holzkohle bereiteten. Der Schwarze sah stirnrunzelnd zu, wie Kunta sich wusch. Als er fertig war, warf ihm der Schwarze toubob- Kleider zu, die Brust und Beine bedeckten, ferner einen ausgefransten Hut aus gelblichem Stroh, wie ihn die anderen trugen. Wie würden diese Heiden wohl die Glut von Allahs Sonne ertragen? fragte sich Kunta.
Anschließend führte ihn der Schwarze zu einer anderen Hütte, wo ihm eine alte Frau unwillig einen Napf mit Essen vorsetzte. Kunta verschlang den dicken Brei, dazu Brot, das an Munkokuchen erinnerte, und spülte alles mit heißer, brauner, nach Rind schmeckender Brühe hinunter. Von hier aus gingen sie in eine weitere Hütte, deren Geruch schon sagte, wozu sie benutzt wurde. Der Schwarze tat, als streife er sein Unterkleid ab, hockte sich auf die Öffnung in dem Sitzbrett und grunzte dabei wie jemand, der sich erleichtert. In einer Ecke lag Maisstroh, und Kunta ahnte nicht, wozu es dienen mochte, vermutete aber, daß der Schwarze ihm zeigen wollte, wie die toubobs alles machten, und gerade das wollte Kunta wissen, denn er brauchte solche Kenntnis, wenn er fliehen wollte.
Vor einer der Hütten saß in einem eigenartigen Stuhl ein Greis; er schaukelte vor und zurück, während er getrocknetes Maisstroh zu einem Besen flocht, wie Kunta scheinen wollte. Der Alte warf ihm einen verstohlenen, aber nicht unfreundlichen Blick zu, den Kunta jedoch nicht zur Kenntnis nahm.
Sein Bewacher ergriff nun eines der langen, kräftigen Messer, die Kunta schon bei anderen gesehen hatte, wies mit dem Kopf zu den Feldern und bedeutete Kunta knurrend, ihm zu folgen. Von den eisernen Schellen behindert, die seine Fußgelenke wund rieben, hüpfte Kunta unbeholfen hinterdrein. Auf dem Feld lasen Frauen und Kinder die trockenen Maisstengel auf, die die Männer vor ihnen mit langen Messern abhieben.
Die bloßen Rücken der Männer glänzten von Schweiß. Kunta suchte nach Brandmalen – nach Zeichen, wie er eines auf dem Rücken trug –, sah aber nur Narben von Peitschenhieben. Der toubob ritt auf seinem Pferd herbei, wechselte ein paar Worte mit dem Schwarzen und sah zu, wie der Schwarze den gefesselten Kunta anlernte.
Er hieb zunächst ein Dutzend Maisstengel ab, drehte sich dann um und zeigte Kunta, wie er die Stengel lesen und aufsetzen sollte. Der toubob trieb sein Pferd dichter an Kunta heran. Die Peitsche in seiner Hand und sein bedrohliches Stirnrunzeln sagten Kunta, was er zu erwarten haben würde, wenn er nicht gehorchte. Wütend über seine Hilflosigkeit hob Kunta zwei Stengel auf, zögerte, hörte den Schwarzen vor sich mit dem Messer arbeiten, hob wieder zwei Maisstengel auf und dann noch einmal. Er spürte förmlich die Blicke der Feldarbeiter, er sah die Hufe des Pferdes, und er fühlte, wie erleichtert die anderen Schwarzen waren, als die Pferdehufe sich endlich entfernten. Ohne den Kopf zu heben, sah Kunta den toubob hierhin und dorthin reiten, wo jemand nicht schnell genug arbeitete, hörte ihn wütend brüllen und klatschende Hiebe austeilen.
Das Feld endete offenbar an einer Straße. Durch den Schleier von Schweiß, der ihm von der Stirn rann und in seinen Augen brannte, erblickte Kunta im Laufe des Nachmittags einzelne Reiter und von Pferden gezogene Wagen. Am entgegengesetzten Ende wurde das Feld von
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