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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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jenem Wald begrenzt, in den er hatte fliehen wollen. Er sah jetzt, wie schmal dieser Wald war – sein Unterfangen war von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Dennoch wandte er den Blick nur widerstrebend von den Bäumen, denn es drängte ihn fast übermächtig dorthin, obwohl ihn jeder Schritt daran erinnerte, daß er in den eisernen Fußfesseln nicht weit kommen würde. Bei der Arbeit an diesem Nachmittag nahm er sich vor, den nächsten Fluchtversuch nicht ohne eine Waffe zur Abwehr von Hunden und Menschen zu unternehmen. Jeder Rechtschaffene muß kämpfen, wenn er angegriffen wird, ob nun von Hund oder Mensch, von einem verwundeten Büffel oder einem hungrigen Löwen. Ein Sohn von Omoro Kinte durfte niemals aufgeben.
    Erst nach Sonnenuntergang ertönte das Horn wieder, und Kunta sah zu, wie die anderen Schwarzen sich eilends in einer Reihe aufstellten. Gar zu gern hätte er geleugnet, daß auch sie einmal zu den ihm bekannten Stämmen gehört hatten, denn in seinen Augen waren sie schändliche Heiden, nicht würdig der Gesellschaft derer, die mit ihm auf dem großen Kahn herübergekommen waren.
    Und erst die toubobs ! Wie maßlos dumm von ihnen, Maisstengel von Fulanis sammeln zu lassen, wo doch jeder wußte, daß die Fulanis geborene Hirten sind, die mit ihren Tieren sogar sprechen! Solche Betrachtungen unterbrach der toubob , der Kunta peitschenknallend ans Ende der Reihe trieb. Das dicke Weib vor ihm wich soweit als möglich von ihm zurück, und Kunta hätte sie am liebsten angespuckt dafür.
    Die Reihe setzte sich in Marsch. Kuntas Fußgelenke bluteten bereits und wurden nun noch mehr wund gescheuert. In der Ferne bellten Hunde. Kunta gedachte mit Schrecken der Tiere, die ihn aufgespürt und angefallen hatten, doch dann fiel ihm ein, wie sein eigener wuolo im Kampf gegen seine Entführer für ihn gestorben war.
    In seiner Hütte kniete Kunta hin und berührte mit der Stirn den festgestampften Boden, das Gesicht nach Sonnenaufgang gekehrt. Er betete lange, denn es galt, die zwei Gebete nachzuholen, die er draußen auf dem Feld nicht verrichtet hatte, weil er fürchten mußte, durch Peitschenhiebe von der Hand des toubob dabei gestört zu werden.
    Nach dem Gebet unterredete er sich leise in der geheimen sira-kango-Sprache mit seinen Vorfahren; er bat sie, ihm Kraft zu verleihen. Dann betrachtete er die beiden Hahnenfedern, die er morgens beim Rundgang mit »Samson« unbemerkt aufgehoben hatte, und fragte sich, wann es ihm wohl gelingen würde, ein frisches Ei zu stehlen. Aus Hahnenfedern und feinzerstampfter Eierschale ließ sich ein Fetisch anfertigen, mit dem er Geister herbeirufen und sie bitten konnte, den Heimatboden zu segnen, den er zuletzt betreten hatte. Geschah dies, würden seine Fußspuren eines Tages in Juffure sichtbar werden, und weil jeder sie kannte, würde große Freude herrschen, und man könnte hoffen, daß er in sein Dorf zurückkehren würde – eines Tages.
    Zum tausendstenmal durchlitt er den Alptraum seiner Entführung. Hätte doch der Zweig, der ihn aufhorchen ließ, nur ein wenig früher geknackt, er hätte nach seinem Speer greifen können. Tränen des Zorns traten in seine Augen. Ihm schien, seit endlosen Monden werde seine ganze Welt aufgespürt und angefallen, gefangen und in Ketten gelegt Nein! So durfte er sich nicht gehenlassen. Schließlich war er jetzt ein Mann, siebzehn Regen alt, zu alt für Tränen und Selbstmitleid. Er wischte die Tränen ab, streckte sich auf dem Sack voll Maisstroh aus und versuchte einzuschlafen. Nun aber fiel ihm der Name »To-by« ein, den man ihm gegeben hatte, und die Wut packte ihn erneut. Er strampelte verzweifelt mit den Beinen, und dabei scheuerten die eisernen Schellen an seinen Fußgelenken, so daß er vor Schmerz doch wieder in Tränen ausbrach.
    Würde er je ein Mann werden wie Omoro? Ob wohl der Vater noch an ihn dachte? Schenkte die Mutter jetzt Lamin, Suwadu und Madi all die Liebe, die früher ihm zuteil geworden war? Er sah die Bewohner von Juffure vor sich und war überzeugt, alle ausnahmslos geliebt zu haben. Wie schon so oft auf dem großen Kahn, zogen die halbe Nacht hindurch Bilder von Juffure an seinem inneren Auge vorüber, bis er sich zwang, an anderes zu denken. Endlich kam der Schlaf.

Kapitel 45
    Kunta wurden die Fußfesseln täglich lästiger und schmerzhafter, doch sagte er sich immer wieder: willst du die Freiheit wiedergewinnen, mußt du tun, was von dir verlangt wird und dich dabei dumm stellen. Nichts sollte

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