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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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etwas Schreckliches geschehen war; oder war es ein Alptraum gewesen? Er wußte nur, daß er sehr krank war. Die ganze rechte Seite war taub; seine Kehle war trocken; seine ausgedörrten Lippen waren vom Fieber rissig; er lag in Schweiß gebadet, und der Schweiß roch übel. War es denkbar, daß ein Mensch dem anderen den Fuß abhackte? Dann sah er wieder den toubob , der auf seinen Fuß und seine Geschlechtsteile deutete, und den gräßlichen Ausdruck auf diesem Gesicht. Wut packte ihn, und er zwang sich, die Zehen zu krümmen. Da überflutete ihn eine Welle des Schmerzes. Er lag still und wartete darauf, daß der Schmerz nachlassen würde, aber vergeblich. Seine Lage war unerträglich, und doch ertrug er sie. Er wünschte, der toubob möchte wiederkommen mit der Arznei, die seine Schmerzen gelindert hatte, und verachtete sich dafür.
    Wieder und wieder versuchte er, die Hände aus den Fesseln zu befreien – es nützte nichts. Er wand sich und stöhnte. Etwas später erschien wieder die schwarze Frau in der Hütte. Das gelbliche Licht einer Laterne flackerte über ihr Gesicht. Sie suchte sich ihm mit Wörtern und Gesten verständlich zu machen. Sie stellte jemanden dar, der einem stöhnenden Menschen zu trinken gibt, worauf dieser erleichtert lächelt, als fühle er sich wohler. Kunta war klar, daß sie ihm zu verstehen geben wollte, der große toubob sei ein Medizinmann, doch ließ er es sich nicht anmerken.
    Achselzuckend setzte sie sich auf sein Lager und drückte ihm ein feuchtes, kühlendes Tuch auf die Stirn. Er blieb ablehnend. Dann bedeutete sie ihm, daß sie gleich seinen Kopf anheben werde, damit er ein wenig von der Suppe trinken könne, die sie gebracht hatte. Er schlürfte die Suppe und beobachtete dabei haßerfüllt ihre befriedigte Miene. Später bohrte sie ein kleines Loch in die festgestampfte Erde, stellte ein langes, rundes, wächsernes Ding hinein und zündete am oberen Ende den Docht an. Stumm gestikulierend fragte sie, ob er noch etwas brauche, doch er funkelte sie nur an, und da ging sie.
    Kunta starrte in die Flamme und versuchte nachzudenken. Die Flamme erlosch bald. Ihm fiel ein, wie er und die anderen geplant hatten, die toubobs auf dem großen Kahn zu töten, und er sehnte sich danach, ein Krieger zu sein und mit jedem Streich einen toubob zu erschlagen. Doch fürchtete er plötzlich, selber zu sterben, obwohl er dann für immer und ewig bei Allah sein würde; schließlich war noch niemand von dort zurückgekehrt, um zu berichten, wie es bei Allah war – wie auch niemand in sein Dorf zurückgekehrt war, um zu berichten, wie es bei den toubobs war.
    Als Bell das nächste Mal kam, blickte sie besorgt in Kuntas blutunterlaufene gelbliche Augen, die noch tiefer in das fiebrige Gesicht gesunken waren. Er lag zitternd und ächzend da, hagerer als vor einer Woche, da man ihn gebracht hatte. Sie ging wieder hinaus, kam aber bald zurück mit dicken Tüchern, zwei dampfenden Töpfen und zwei Decken. Mit raschen Bewegungen, ja geradezu verstohlen, legte sie auf Kuntas nackte Brust einen dampfenden Umschlag aus gekochten Blättern, der säuerlich roch und so heiß war, daß Kunta stöhnte und ihn abschütteln wollte. Bell drückte ihn aber sehr bestimmt aufs Lager. Dann tauchte sie Tücher in die dampfenden Töpfe, wrang sie aus, legte sie über den Umschlag und deckte Kunta mit den beiden Decken zu.
    Sie blieb bei ihm und sah zu, wie der Schweiß in kleinen Rinnsalen auf den Boden tropfte. Mit einem Zipfel ihrer Schürze tupfte sie ab, was ihm in die Augen laufen wollte, und schließlich lag er völlig schlaff da. Erst als die Tücher auf seiner Brust kaum noch warm waren, entfernte sie sie, wischte ihm die Brust ab, bis nichts mehr von dem Umschlag zu sehen war, deckte ihn wieder zu und ging.
    Beim nächsten Erwachen war Kunta zu schwach, die kleinste Bewegung zu machen. Ihm war, als müsse er unter den Decken ersticken. Aber er wußte – ohne dabei Dankbarkeit zu empfinden –, daß die Macht seines Fiebers gebrochen war.
    Während er so dalag, fragte er sich, woher die Frau wohl ihre Heilkenntnisse hatte? So war er in seiner Kindheit von Binta behandelt worden, mit Pflanzen und Kräutern nach uralten Rezepten. Und damit, daß diese Schwarze hier den Blätterumschlag so verstohlen aufgelegt hatte, wollte sie ihm wohl zu verstehen geben, daß das keine toubob -Medizin war. Nicht nur wußte der toubob nichts davon, er durfte auch nichts davon erfahren, das war Kunta klar. Und er rief sich das

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