Wurzeln
zeigte er auf Kuntas Fuß und dann auf das Beil in seiner Hand. Als Kunta begriff, heulte er auf und trat um sich – und wurde wieder geschlagen. Etwas sagte ihm unüberhörbar, daß ein Mann, um Mann zu sein, Söhne haben müsse, und er tastete nach seinem Unterleib, um seinen foto zu schützen. Die beiden toubobs grinsten böse.
Der eine schob den Stamm unter Kuntas rechten Fuß, während der andere den Fuß so fest an den Stamm band, daß Kunta ihn nicht befreien konnte. Der toubob mit dem blutenden Gesicht ergriff das Beil. Kunta schrie und zerrte an seinen Fesseln, als das Beil blitzend in die Höhe fuhr und dann so schnell herabsauste, Haut, Sehne, Muskeln trennend, daß er noch den dumpfen Einschlag der Klinge im Stamm hörte. Der Schmerz schoß ihm in den Kopf, sein Oberkörper sank nach vorn, die Hände zuckten, als wollten sie die vordere Hälfte des Fußes retten, die schon am Boden lag. Blut schoß aus dem Stumpf, und alles um ihn her wurde schwarz.
Kapitel 50
Fast den ganzen Tag hindurch wechselten Ohnmachten mit Wachsein. Kunta hielt die Augen geschlossen, seine Gesichtsmuskeln waren schlaff, Speichel rann aus einem Mundwinkel. Schmerzen im Kopf, im Körper und vor allem in seinem rechten Bein sagten ihm, daß er noch lebte, und schon sah er wieder ganz deutlich das zornrote, verzerrte toubob- Gesicht hinter dem blitzenden Beil, hörte das dumpfe Geräusch, mit dem die Klinge in den Baumstamm fuhr, sah den abgehackten halben Fuß am Boden liegen. Gleich umfing ihn wieder barmherzige Dunkelheit.
Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, fiel sein Blick auf Spinnweben an der Decke. Nach einer Weile gelang es ihm, sich ein wenig zu bewegen, und dabei stellte er fest, daß er ans Bett gebunden war. Sein rechter Fuß und sein Kopf wurden allerdings von Polstern gestützt, und er trug eine Art Kittel. In der Hütte roch es nach Teer. Er hatte geglaubt, schon alle Leiden erfahren zu haben, doch war das offenbar ein Irrtum gewesen.
Gerade murmelte er ein Gebet zu Allah, als die Tür der Hütte aufgestoßen wurde; er verstummte sofort. Ein großer toubob , den er noch nicht gesehen hatte, kam herein. Er trug eine kleine schwarze Tasche und machte ein wütendes Gesicht, doch schien seine Wut sich nicht gegen Kunta zu richten. Der toubob verscheuchte die summenden Fliegen und bückte sich über Kuntas Bein. Kunta konnte nur seinen Rücken sehen. Der toubob machte etwas an seinem Stumpf. Es tat so weh, daß Kunta jammerte wie eine Frau und sich aufbäumte. Endlich wandte der toubob ihm das Gesicht zu; er legte seine Hand auf Kuntas Stirn, ergriff sein Handgelenk und hielt es eine ganze Weile fest. Dann erhob er sich, beobachtete Kuntas verzerrtes Gesicht und rief: »Bell!«
Eine schwarzhäutige Frau, klein, aber kräftig, mit ernstem, doch nicht abweisendem Gesicht kam herein und brachte Wasser in einem Blechbehälter. Irgendwie kam sie Kunta bekannt vor, er meinte, sie schon einmal in einem Traum gesehen zu haben, wie sie sich zu ihm hinunterbeugte und ihm zu trinken gab. Der toubob sprach freundlich mit ihr, während er etwas aus der schwarzen Tasche nahm und in einem Becher mit Wasser verrührte. Dann sagte er etwas, die schwarze Frau kniete hin und hob mit einer Hand Kuntas Kopf, während sie ihm mit der anderen den Becher an die Lippen hielt. Kunta trank – er war zu krank und zu schwach, um Widerstand zu leisten.
Er konnte gerade den dicken Verband um seinen Stumpf erkennen; das Tuch war rostrot von getrocknetem Blut. Er erschauerte, wollte aufspringen, aber seine Muskeln versagten ihm den Dienst, und er schluckte das übelschmeckende Zeug. Die schwarze Frau ließ seinen Kopf wieder langsam zurücksinken, der toubob sagte noch etwas zu ihr, sie erwiderte, und dann gingen sie beide hinaus.
Kunta sank sogleich in tiefen Schlaf. Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, es war spät in der Nacht, wußte er nicht, wo er war. Der Stumpf brannte wie Feuer; er wollte das Bein heben und schrie vor Schmerz. In der Dunkelheit sah er eine wirre Folge undeutlicher Bilder, in die er keine Ordnung bringen konnte. Binta erschien, und er sagte ihr, er sei verletzt, sie solle sich aber keine Sorgen machen, denn er werde so bald wie möglich nach Hause kommen. Dann sah er hoch am Himmel einen Schwarm Vögel, deren einer von einem Pfeil getroffen wurde. Er spürte, wie er fiel, er schrie und griff verzweifelt ins Nichts.
Als Kunta das nächste Mal aufwachte, hatte er das sichere Gefühl, daß mit seinem Fuß
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