Wurzeln
schwankend, immer nahe der stützenden Wand gelang es ihm, ein paar unbeholfene, humpelnde Schritte mit seinem nach vorne schwingenden Körper zu machen, wobei ihn der verbundene, pendelnde Fußstumpf immer aus dem Gleichgewicht zu bringen drohte.
Als Bell ihm am nächsten Morgen das Frühstück brachte, sah Kunta ihr an, wie sehr sie sich über die Kratzer freute, die seine Krücken auf dem Boden hinterlassen hatten. Kunta blickte sie finster an, zornig über sich, weil er vergessen hatte, die Spuren fortzuwischen. Er rührte das Essen erst an, als Bell gegangen war, doch dann langte er richtig zu, denn er wußte, daß er jetzt neue Kräfte brauchte. Nach wenigen Tagen schon konnte er mühelos in der Hütte umherhumpeln.
Kapitel 51
In vielen Dingen unterschied sich diese toubob -Pflanzung sehr von der letzten, wie Kunta sah, als er zum erstenmal auf seinen Krücken zur Tür humpeln und hinausschauen konnte. Die Hütten der Schwarzen waren alle sauber geweißt und in gutem Zustand, auch die, in der Kunta sich befand. Er verfügte über einen kleinen Tisch und ein Wandregal mit einem Blechteller, einem Trinkgefäß, einem Löffel und jenen toubob -Eßgeräten, deren Namen Kunta inzwischen endlich gelernt hatte: Gabel und Messer; er fand es unklug von den toubobs , solche Dinge in seiner Reichweite zu lassen. Er schlief auf einem mit Maisstroh gefüllten Sack. Zu einigen Hütten gehörte sogar ein kleiner Garten, und die dem großen toubob- Haus zunächst gelegene Hütte zierte ein buntes, kreisförmiges Blumenbeet. Von seiner Türschwelle aus konnte Kunta jeden sehen, der kam oder ging, und kam jemand in die Nähe, humpelte Kunta rasch in die Hütte und wartete eine Weile, ehe er sich wieder auf die Schwelle wagte.
Die Nase sagte ihm, wo die Latrine war. Er suchte sie möglichst erst auf, wenn die anderen Schwarzen bei der Arbeit auf dem Feld waren, und hinkte anschließend gleich wieder zu seiner Hütte.
Erst nach zwei Wochen unternahm Kunta kleine Erkundungen, auf denen er die Entdeckung machte, daß die Köchin des Sklavenquartiers nicht Bell war, was ihn überraschte. Seit er sich bewegen konnte, brachte ihm Bell das Essen nicht mehr und besuchte ihn auch nicht. Er fragte sich, was aus ihr geworden war – bis er sie eines Tages aus der Hintertür des großen Hauses kommen und zur Latrine gehen sah. Sie kam dicht an ihm vorbei, nahm aber keine Notiz von ihm. Also war sie wie alle anderen; er hatte es ja gewußt. Seltener bekam Kunta den großen toubob zu Gesicht, der gewöhnlich in einen kleinen Wagen mit schwarzem Verdeck stieg, der von zwei Pferden gezogen wurde. Auf dem Kutschbock saß ein Neger.
Abends sah Kunta die Feldarbeiter zurückkehren und müde zu ihren Hütten schlurfen. An seine frühere Pflanzung zurückdenkend, fragte er sich, warum diesen Schwarzen nicht ein toubob zu Pferde mit Peitsche folgte. Sie gingen an Kunta vorüber, ohne ihm, wie es schien, die geringste Beachtung zu schenken, und verschwanden in ihren Hütten. Bald darauf kamen sie wieder zum Vorschein, die Männer machten sich bei der Scheune zu schaffen, die Frauen melkten Kühe und fütterten Hühner. Kinder schleppten Wasser in Eimern herbei und so viel Brennholz, wie sie auf den Armen tragen konnten; sie wußten offenbar nicht, daß man die doppelte Menge Holz gebündelt auf dem Kopf tragen konnte.
Indes die Tage vergingen, wurde ihm klar, daß diese Schwarzen zwar ein besseres Leben führten als die auf seiner früheren toubob -Farm, sich aber genausowenig wie diese bewußt zu sein schienen, daß sie ein verlorener Stamm waren – man hatte ihnen die Selbstachtung offenbar so gründlich ausgeprügelt, daß sie glaubten, ihr Leben müsse so sein, wie es war. Ihnen schien nur daran gelegen, nicht geschlagen zu werden, satt zu essen zu haben und sich irgendwo schlafen legen zu können. In den meisten Nächten lag Kunta, bevor er endlich einschlief, noch lange wach, brennend vor Zorn über das Elend seiner Brüder. Aber sie schienen nicht einmal zu wissen, daß sie im Elend waren. Warum nur grämte er sich darüber, daß sie mit ihrem armseligen Schicksal offenkundig zufrieden waren? Wenn er so dalag, war ihm zumute, als sterbe er mit jedem Tag ein wenig mehr und als müsse er, solange noch ein Funke Lebenswillen in ihm war, versuchen, abermals zu fliehen, einerlei, wie es ausgehen mochte. So wie jetzt weiterzuleben war sinnlos. In den zwölf Monden, seit man ihn aus Juffure geraubt hatte, war er um viele Regen
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