Wurzeln
Gesicht der schwarzen Frau ins Gedächtnis zurück. Wie hatte der toubob sie genannt? »Bell.«
Widerstrebend gestand er sich ein, daß diese Frau sehr wohl eine Mandinka hätte sein können. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie in Juffure kouskous stampfte, wie sie im Einbaum auf dem bolong paddelte, wie sie die Reisernte auf dem Kopf heimtrug. Doch dann schalt sich Kunta sogleich dafür – lächerlich, diese heidnischen, ungläubigen Schwarzen hier im toubob- Land mit seinem Dorf in Verbindung zu bringen!
Seine Schmerzen ließen nach, schlimm war es nur, wenn er sich bei dem Versuch, seine Lage zu ändern, gegen die Fesseln aufbäumte. Doch die Fliegen quälten ihn sehr, die um seinen Stumpf schwirrten, und gelegentlich machte er mit dem Bein einen Versuch, sie zu verscheuchen.
Kunta fragte sich nun, wo er wohl sei? Er war nicht nur nicht in seiner alten Hütte, den Geräuschen von draußen und den Stimmen der vorübergehenden Schwarzen entnahm er auch, daß man ihn auf eine andere Pflanzung gebracht hatte. Er roch, was die Schwarzen hier kochten, hörte sie abends singen und beten, hörte das Horn.
Und jeden Tag kam der große toubob zu ihm in die Hütte und tat jedesmal seinem Fuß weh, wenn er den Verband wechselte. Bell brachte ihm dreimal am Tag zu essen und zu trinken, dazu ein Lächeln und eine Hand, die sich mitfühlend auf seine Stirn legte. Er mußte sich immer wieder vor Augen halten, daß diese Schwarzen nicht besser waren als die toubobs.
Diese Schwarze und dieser toubob mochten nichts Böses mit ihm vorhaben – obwohl man das jetzt noch nicht sagen konnte –, aber Samson, der ihn fast zu Tode geprügelt hatte, war ein Schwarzer gewesen, und toubobs hatten ihn ausgepeitscht, angeschossen und ihm den halben Fuß abgehackt. Je mehr er zu Kräften kam, desto größer wurde sein Zorn darüber, daß er hier hilflos liegen mußte, unfähig, sich zu bewegen, er, der doch siebzehn Regen lang hatte laufen, springen und klettern können, wohin er wollte. Es war unbegreiflich und unerträglich!
Als der große toubob Kuntas Handgelenke losgebunden hatte, verbrachte er die nächsten Stunden mit dem vergeblichen Versuch, die Arme zu heben – sie wollten einfach nicht. Grimmig entschlossen lenkte er alle Kraft in seine Arme, krümmte immer wieder die Finger und ballte sie zu Fäusten, bis er endlich die Arme heben konnte. Sodann versuchte er, sich auf den Ellenbogen zu stützen, und als ihm das gelungen war, verbrachte er Stunden damit, in dieser Haltung den Verband über seinem Stumpf zu betrachten. Der dünkte ihn so dick wie ein Kürbis, wenn er auch nicht mehr so blutig war wie die früheren Verbände, die er den toubob hatte abnehmen sehen. Als er dann versuchte, das rechte Knie zu beugen, konnte er den Schmerz nicht aushalten.
Er ließ Wut und Verzweiflung an Bell aus, indem er sie auf Mandinka beschimpfte und den Becher hinwarf, nachdem er getrunken hatte. Erst später wurde ihm bewußt, daß er dabei zum erstenmal im Land der toubobs laut zu jemandem gesprochen hatte. Und noch wütender wurde er bei der Erinnerung daran, daß sie ihn trotz alledem freundlich angesehen hatte.
Eines Tages – Kunta war seit fast drei Wochen an diesem Ort – bedeutete ihm der toubob , sich aufzusetzen, als er den Verband abnahm. Kunta sah, daß das Tuch von einer klebrigen, gelblichen Flüssigkeit durchtränkt war. Er mußte die Zähne zusammenbeißen, als der toubob den letzten Fetzen entfernte, und er wurde beinahe ohnmächtig, als er den geschwollenen Stumpf erblickte, bedeckt von dickem, bräunlichem Schorf. Kunta hätte aufschreien mögen. Der toubob streute etwas auf die Wunde, legte einen neuen, nur lockeren Verband an, griff nach seiner schwarzen Tasche und ging schnell hinaus.
Während der nächsten zwei Tage wiederholte Bell das, was der toubob gemacht hatte, und sprach dabei leise zu Kunta, wenn der sich krümmte und abwandte. Als der toubob am dritten Tag wiederkam, tat Kuntas Herz einen Satz: der toubob hatte zwei dicke Stöcke mit gegabeltem Oberteil bei sich, wie sie auch in Juffure von Invaliden benutzt worden waren. Er zeigte Kunta, wie er daran umherhumpeln sollte, den rechten Fuß frei über dem Boden schwingend.
Kunta rührte sich erst, als er allein war. Er stand mühsam auf und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand der Hütte, bis der pochende Schmerz im Bein nachließ. Schweiß rann ihm übers Gesicht, als er endlich die Gabeln der Stöcke unter die Achseln schob. Schwindelig,
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