Wurzeln
Geschichtenerzähler, die griots , und denen hörte man ehrfürchtig zu, wenn sie, unter dem Affenbrotbaum sitzend, von alten Königen und mächtigen Familien berichteten, von Kriegern und Kämpfen, von alten Legenden. Religiöse griots machten Prophezeiungen oder ermahnten die Gläubigen, Allah gnädig zu stimmen, und erboten sich auf der Stelle, die – Kunta nun schon bekannten – Zeremonien gegen kleine Geschenke auszuführen. Ein singender griot trug mit hoher Stimme endlose Verse vor, die von der vergangenen Pracht der Königreiche Ghana, Songhai und Alt-Mali handelten, und war er damit fertig, beauftragte ihn so mancher Dörfler heimlich, gegen Bezahlung ein Preislied auf seine alten Eltern in ihrer Hütte anzustimmen. Wenn die alten Leute dann vor die Tür traten, blinzelnd im hellen Tageslicht standen und breit und zahnlos lächelten, klatschten die Umstehenden Beifall. Der singende griot tat dann kund, daß er gegen mäßige Bezahlung bereit sei, jederzeit zurückzukehren und jedes gewünschte Preislied vorzutragen; die sprechende Trommel würde ihn überall zu finden wissen. Besonders für Begräbnisse, Hochzeiten und andere feierliche Anlässe empfahl er sich seiner Kundschaft aufs beste. Dann wanderte er weiter ins nächste Dorf.
Am Nachmittag des sechsten Festtages ließ sich ganz plötzlich eine fremde Trommel in Juffure vernehmen. Die Trommel sprach kränkende Worte, und Kunta gesellte sich eilig der Menge zu, die sich aufgeregt unter dem Affenbrotbaum versammelt hatte. Die offenbar ganz in der Nähe befindliche Trommel kündete Ringer an, so mächtig, daß alle, die sich in Juffure etwa als Ringer bezeichnen mochten, sich schleunigst verkriechen sollten. Als Minuten später die Trommel von Juffure antwortete, die vermessenen Fremden wünschten hier wohl zu Krüppeln gemacht zu werden, brandete Beifall auf.
Sogleich eilte man zum Kampfplatz der Ringer. Juffures Ringer legten die kurzen dalas an, die den zupackenden Händen an den Seiten und am Hinterteil Halt boten, und rieben sich mit einer glitschigen Substanz ein, die aus Holzasche und den zerstoßenen Blättern des Brotfruchtbaumes hergestellt wurde. Und schon hörte man auch Rufe, denen zu entnehmen war, daß die Herausforderer eingetroffen waren. Diese starken Männer gönnten den höhnenden Zuschauern keinen Blick, sondern marschierten hinter ihrem Trommler direkt auf den Kampfplatz. Sie trugen bereits ihre dalas und rieben sich nun ebenfalls mit einer öligen Paste ein. Als die Ringer von Juffure hinter ihrem eigenen Trommler aufmarschierten, entstand so große Unruhe, daß die Trommler die Zuschauer ermahnen mußten, Ordnung zu halten.
Dann sprachen die Trommeln: »Macht euch bereit!«, und die Mannschaften nahmen Aufstellung, je zwei Ringer einander gegenüber kauernd und einander mit wilden Blicken messend. »Packt zu! Packt zu!« befahlen die Trommeln, und schon begannen die Ringer einander lauernd zu umkreisen. Die Trommler wanden sich nun zwischen den Kämpfenden hindurch, und die Trommeln verkündeten die Namen berühmter Ringer, die früher einmal für ihr Dorf in Aktion getreten waren und deren Geister nun gewiß diesem Kampf zusahen.
Nach blitzschnellen Täuschungsmanövern bekamen die Ringer einander zu fassen, und unter ihren stampfenden Füßen stieg eine Staubwolke auf, welche den Zuschauern fast die Sicht nahm. Als besiegt galt, wer von seinem Gegner hochgehoben und auf den Rücken geworfen wurde. Jeder Niederwurf wurde von den Zuschauern mit Geschrei quittiert, und der Trommler verkündete den Namen des Siegers. Kunta und seine Freunde führten unterdessen am Rande des Platzes ebenfalls Ringkämpfe auf.
Endlich war das Treffen beendet, und Juffure hatte einen Sieg mehr errungen als die Herausforderer. Die heimische Mannschaft erhielt den Preis, Hörner und Hufe eines frisch geschlachteten Rindes. Das Fleisch wurde in großen Brocken am Spieß gebraten, und die tapferen Herausforderer wurden herzlich aufgefordert, am Mahl teilzunehmen. Man beglückwünschte die Fremden zu ihrer prächtigen Kondition, und unverheiratete Mädchen banden den Ringern Glöckchen an Fußgelenke und Oberarme. Während des nun folgenden Gelages richteten Juffures Knaben des dritten kafo den Platz mit Besen für eine serouba her.
Bei Sonnenuntergang versammelten sich dazu alle in Festkleidung auf dem Platz. Zu gedämpftem Trommelklang sprangen die Ringer beider Mannschaften in den Ring und führten einen stilisierten Schaukampf vor. Ihre Muskeln
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