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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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Mingo Hufschlag hörten. Der Masser kam im Galopp daher. Die Zügel in der einen, die Flinte in der anderen Hand, fuhr er George barsch an: »Die Missis hat dich gesehn. Ihr wißt also Bescheid?«
    »Jasörr«, schluckte George und starrte wie gebannt auf die Flinte.
    Masser Lea hatte schon absteigen wollen, überlegte es sich aber und blieb im Sattel. Mit zornrotem Gesicht fuhr er sie an: »Eine Menge anständiger weißer Bürger wäre heute nacht ums Leben gekommen, wenn ein Nigger seinen Masser nicht rechtzeitig gewarnt hätte. Wieder ein Beweis, daß man euch Niggern nicht trauen kann!« Er gestikulierte mit der Schrotflinte. »Ihr beide hockt da, und ich weiß nicht, was in euren Köpfen vorgeht. Aber gebt mir nur den leisesten Anlaß, und ich knall euch ab wie die Hasen!« Er bedachte Onkel Mingo und George mit drohenden Blicken, riß sein Pferd herum und sprengte davon.
    Es vergingen einige Minuten, bevor Onkel Mingo sich rührte. Er spuckte wütend aus und stieß mit dem Fuß die Hickorystreifen zur Seite, aus denen er Tragkörbe für Kampfhähne flocht. »Da arbeitest du tausend Jahre für den weißen Mann und bist doch immer nur ein Nigger!« stieß er verbittert hervor. George wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Mingo schien noch etwas sagen zu wollen, ging dann aber wortlos zu seiner Hütte. Bei der Tür drehte er sich um. »Hör gut zu, Junge. Du glaubst, du bist was Besondres für den Masser, aber wenn die Weißen vor Angst wie verrückt sind, ist ihnen alles gleich! Bleib schön zu Hause, bis diese Geschichte ausgestanden ist, hast du gehört?«
    »Jasörr!«
    George nahm den Korb zur Hand, an dem Mingo gearbeitet hatte, und setzte sich damit auf den nächsten Baumstamm. Seine Finger flochten die Hickorystreifen ineinander, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Wieder einmal hatte Onkel Mingo genau erraten, was in seinem Kopf vorging. Wie konnte er nur auf den Gedanken kommen, Masser Lea könnte in ihm je etwas anderes sehen als einen Sklaven. Er hätte wissen müssen, wie bedrückend – und nutzlos – es war, sich ihn als seinen Pappy zu denken. Nur hätte er gern mal mit jemand darüber geredet. Onkel Mingo kam nicht in Betracht, dem hätte er eingestehen müssen, daß er wußte, daß der Masser sein Pappy war. Aus dem gleichen Grund konnte er weder mit Miss Malizy, Schwester Sarah oder Onkel Pompey reden. Ob sie von der Beziehung zwischen dem Masser und seiner Mammy wußten, war ihm nicht bekannt, doch wenn einer davon wußte, wußten es alle. Wer was hörte, erzählte es weiter.
    Er konnte über dieses leidige Thema auch mit seiner Mammy nicht mehr reden, nachdem sie sich wiederholt bei ihm dafür entschuldigt hatte, daß sie ihm überhaupt die Wahrheit offenbart hatte.
    Was mochte seine Mammy nach all den Jahren nun wirklich über diese scheußliche Sache denken? Soweit er das beurteilen konnte, taten der Masser und sie, als wäre keiner für den anderen vorhanden, jedenfalls nicht, was dies betraf. Wenn George sich vorstellte, daß seine Mammy mit dem Masser trieb, was Charity – und seit kurzem auch Beulah – mit ihm trieben, wenn er sich heimlich vom Hahnengrund fortstahl, dann genierte er sich richtig.
    Nun aber kam ihm die Erinnerung an eine Nacht vor langer Zeit, drei oder vier Jahre mochte er gewesen sein. Er war davon erwacht, daß das Bett sich bewegte. Er starrte mit offenen Augen ins Dunkel, lag still und verängstigt, hörte das Maisstroh rascheln und den Mann schnaufen, der sich über seine Mammy beugte und ruckweise auf und nieder bewegte. Starr vor Schrecken sah er den Mann aufstehen, hörte das Klirren einer Münze auf der Tischplatte, die Schritte, das Zufallen der Tür. Er kämpfte lange mit den Tränen, hielt die Lider fest geschlossen, als wollte er ungeschehen machen, was er gesehen und gehört hatte. Wenn sein Blick fortan auf das Einmachglas im Regal fiel, das etwa einen Zoll hoch mit Münzen gefüllt war, überfiel ihn die Erinnerung wie eine Welle von Übelkeit. Mit der Zeit wurden es immer mehr Münzen, und schließlich brachte er es nicht mehr über sich, das Glas anzusehen. Er war ungefähr zehn Jahre alt, als ihm eines Tages auffiel, daß das Glas weg war. Seine Mutter ahnte nicht, daß er all dies wußte, und von ihm sollte sie es nie erfahren.
    George hatte gelegentlich erwogen, mit Charity über seinen weißen Vater zu reden, war aber zu stolz dazu. Vielleicht hätte sie ihn verstanden. Anders als die kohlschwarze Beulah war Charity noch

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