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Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
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der Masser ihn angelernt. Aber Mingo hätte nicht gedacht, daß es so schnell gehen würde.

Kapitel 93
    »Worüber denkst du so angestrengt nach, Junge?«
    Sie saßen nun schon über eine Stunde nebeneinander auf dem Bock und betrachteten abwechselnd die Schäfchenwolken am heiteren Februarhimmel, die vor ihnen liegende Straße und die Kruppen der Maultiere, ohne ein einziges Wort zu sprechen, und Masser Leas Frage ließ Hühner-George erschreckt auffahren. »Nichts«, antwortete er. »Ich denk nichts, Masser.«
    »Ich versteh euch Nigger nicht!« Masser Leas Stimme klang gereizt. »Redet man mal zu euch wie zu Menschen, gleich stellt ihr euch dumm. Das macht mich richtig böse, besonders bei einem Nigger wie dir, der einem ein Loch in den Bauch reden kann, wenn er will. Glaubst du nicht, die Weißen würden euch mehr respektieren, wenn ihr zumindest so tätet, als ob ihr Grütze im Kopf hättet?«
    Georges müßiges Vor-sich-hin-Dösen wandelte sich schlagartig zu höchster Wachsamkeit. »Kann sein, Masser, kann sein auch nicht«, antwortete er bedachtsam. »Kommt drauf an.«
    »Immer dieses Drumrumgerede. Worauf kommt es an?«
    Immer noch ausweichend, denn er wußte nicht, was der Masser wirklich im Sinn hatte, verlegte Hühner-George sich noch einmal auf eine Ausflucht. »Na ja, Sörr, ich mein, es kommt drauf an, mit was für Weißen man redet. So kommt es mir jedenfalls vor.«
    Ärgerlich spuckte Masser Lea auf die Straße. »Da füttert man einen Nigger, zieht ihn an, gibt ihm ein Dach über dem Kopf und überhaupt alles, was er in dieser Welt braucht, und der Nigger gibt einem nicht mal ’ne aufrichtige Antwort!«
    Hühner-George neigte zu der Meinung, der Masser langweile sich und lege es darauf an, durch ein angeregtes Gespräch die schier endlose Fahrt erträglicher zu machen.
    Um Masser Lea nicht weiter zu reizen, beschloß er, eine Probe aufs Exempel zu machen. »Wenn ich aufrichtig sein soll, Masser, ich glaub, die Nigger halten es für gut, wenn sie sich dümmer stellen, als sie sind, weil nämlich die meisten Nigger Angst haben.«
    »Angst!« rief Masser Lea. »Aalglatt sind die Nigger, das ist die Wahrheit! Machen sie etwa aus Angst Aufstände? Wollen sie uns alle aus Angst umbringen, unser Essen vergiften und sogar kleine Kinder erschlagen? Was die Weißen tun, das tun die Nigger allemal, und wenn die Weißen sich davor schützen wollen, dann schreien die Nigger, sie haben Angst!«
    Hühner-George hielt es für angebracht, dem Masser keinen Anlaß für weitere Zornausbrüche zu liefern. »Von Euren Niggern macht bestimmt keiner so was, Masser«, sagte er ruhig.
    »Weil ihr wißt, daß ich euch umbringe, wenn ihr das tut!« Hinter ihnen krähte ein Kampfhahn in seinem Korb, und andere antworteten ihm laut gluckend.
    George blieb stumm. Sie fuhren an einer Plantage entlang: Sklaven waren damit beschäftigt, Maisstengel zu zerkleinern und das Feld für die neuen Pflanzen vorzubereiten.
    Masser Lea nahm wieder das Wort: »Mir wird richtig übel, wenn ich bedenke, wie schwer ihr Nigger es einem Mann machen könnt. Dabei hab ich mein ganzes Leben lang schwer geschuftet.«
    Eine Weile rollte der Wagen so dahin, und Hühner-Ge­orge spürte, wie der Masser immer mehr in Zorn geriet: »Ich will dir mal was sagen, Junge!« sagte er plötzlich. »Du lebst seit deiner Geburt auf meiner Farm, und dein Bauch war immer voll. Du weißt nicht, was es heißt, bettelarm und halbverhungert mit zehn Geschwistern und Vater und Mutter in zwei heißen undichten Löchern aufzuwachsen!«
    Hühner-George staunte nicht schlecht über dieses Geständnis des Masser, der erregt fortfuhr, wie um diese schmerzlichen Erinnerungen ein für allemal loszuwerden. »Ich kann mich nicht entsinnen, Junge, daß meine Mutter einmal kein neues Baby im Bauch gehabt hätte. Und mein Vater war den ganzen Tag besoffen, kaute Tabak und fluchte auf uns, weil wir nicht genug schufteten auf seinen zehn Morgen Land, für das ich keine fünf Dollar geben würde, es war nämlich bloß Geröll! Und der nannte sich Farmer!« Hühner-George mit einem finsteren Blick streifend, fragte er: »Willst du wissen, was mein Leben verändert hat?«
    »Jasörr«, antwortete George.
    »In unsern Ort kam ein wundertätiger Wanderprediger. Die Leute waren wie verrückt, als das große Zelt aufgestellt wurde. Am ersten Abend quoll es fast über, denn wer gehen konnte, kam, und welche ließen sich tragen. Später hieß es, nie zuvor hätte man in Caswell County so eine

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