Wurzeln
Bußpredigt gehört und so viele Wunderheilungen erlebt. Ich seh das noch vor mir: Hunderte von Weißen, die kreischten, zuckten und auf die Knie stürzten und Zeugnis ablegten. Die Leute fielen sich gegenseitig in die Arme, ächzten und stöhnten und zitterten am ganzen Leib. Es war schlimmer, als du es heute in jeder Niggerkirche erleben kannst. An dem Spektakel war auch was dran, das mich getroffen hat.« Masser Lea sah Hühner-George fragend an: »Weißt du was von der Bibel?«
»Nicht … Nein, Sörr, nicht der Rede wert.«
»Du hättest wohl nicht gedacht, daß ich auch nichts davon wußte, was? Also was mich packte, das war eine Stelle aus den Psalmen. Ich hab sie mir in meiner Bibel angekreuzt. Es heißt dort: ›Jung war ich und bin alt geworden; und nie sah ich den Gerechten verlassen, noch seinen Samen Brot suchen.‹ Der Prediger war längst weitergezogen, da grübelte ich immer noch über diesen Worten. Ich drehte sie hin und her und um und um und wollte herausbekommen, welche Bedeutung sie für mich haben. Wenn ich meine Familie ansah, war mir klar, daß wir sehr wohl ›Brot suchten‹, also bettelten. Wir hatten nichts und würden auch nie was haben. Schließlich fand ich die Bedeutung: Wenn ich es schaffte, ein Gerechter zu werden, mit andern Worten, wenn ich hart arbeitete und ein anständiges Leben führte, würde ich im Alter nie um Brot betteln müssen.« Zustimmung heischend sah der Masser Hühner-George an.
»Jasörr«, sagte Hühner-George. Er wußte nichts anderes zu sagen.
»Am selben Tag ging ich von daheim weg«, fuhr Masser Lea fort. »Ich war elf Jahre alt. Ich lag auf der Straße. Ich fragte überall nach Arbeit und nahm jede an, auch Niggerarbeit. Ich hatte nur Fetzen am Leib. Ich nährte mich von Abfällen. Ich sparte jeden Cent, den ich verdiente – jahrelang, verstehst du? –, bis ich endlich meine ersten fünfundzwanzig Morgen Wald kaufen konnte. Und meinen ersten Nigger. Er hieß George. Tatsache ist, daß ich dich nach ihm genannt hab …«
Der Masser schien eine Antwort zu erwarten: »Onkel Pompey hat mir von ihm erzählt«, sagte Hühner-George.
»Ja. Pompey kam später, er war mein zweiter Nigger. Jetzt hör mir gut zu, Junge. Schulter an Schulter hab ich mit diesem Nigger George gearbeitet. Von früh bis spät haben wir geschuftet – Bäume gefällt, Wurzeln ausgegraben, Buschwerk und Steine weggeräumt, um endlich die erste Saat einzubringen. Der Herr hat mir die Hand geführt, als ich das Los zog, und mit diesem Los gewann ich meinen ersten Kampfhahn. Junge, das war der beste Hahn, den ich je hatte. So schlimm er auch zugerichtet wurde, ich flickte ihn immer wieder zusammen, und er gewann mehr Kleinkämpfe als jeder andere Vogel hierherum.«
Er unterbrach sich. »Ich weiß gar nicht, was mir einfällt, daß ich da auf dem Bock sitze und so mit einem Nigger rede. Wahrscheinlich muß jeder Mensch mal mit jemandem reden.«
Wieder machte er eine Pause. »Mit der Frau kann man nicht reden; oder nicht sehr viel. Wenn eine Frau sich mal einen Mann geangelt hat, der für sie sorgt, verbringt sie ihr Leben damit, daß sie entweder krank ist, sich ausruht oder klagt und sich vorn und hinten von Niggern bedienen läßt. Oder sie schmiert sich irgendwelches Zeug ins Gesicht, bis sie aussieht wie ein Gespenst …«
Hühner-George traute seinen Ohren nicht. Aber der Masser schien nicht aufhören zu können. »Oder man kriegt eine von der andern Sorte, wie meine Schwestern zum Beispiel. Ich hab mich oft gefragt, warum keines von meinen Geschwistern fortgegangen ist wie ich. Sie rackern und hungern heute noch genauso wie damals – nur daß sie jetzt selber Familien haben.«
Hühner-George hielt es für das klügste, auf das, was der Masser von seiner Familie sagte, überhaupt nicht zu reagieren – nicht einmal mit einem unverbindlichen »Jasörr«. Bei Hahnenkämpfen oder in der Stadt hatte er Masser Lea manchmal mit Verwandten sprechen sehen. Masser Leas Brüder waren arme Weiße, über die nicht nur die reicheren Pflanzer, sondern auch ihre eigenen Sklaven die Nase rümpften. Mehr als einmal hatte George gesehen, wie peinlich es dem Masser war, wenn er einem von ihnen begegnete. Er hörte ihr Gejammer über die schlechten Zeiten an, und George sah Haß auf ihren Gesichtern, wenn der Masser ihnen fünfzig Cents oder einen Dollar schenkte und schon wußte, daß sie das Geld umgehend in Fusel umsetzen würden. Und wenn der Masser Verwandte zum Essen einlud – Miss Malizy
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