Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wurzeln

Wurzeln

Titel: Wurzeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Haley
Vom Netzwerk:
Bibel las. Obgleich es nicht gegen Anordnungen des Masser verstieß, war Kizzy immer noch gegen das Lesen – aber schließlich war es die Bibel, und deshalb konnte es ja wohl nichts Schlechtes sein. Gewöhnlich begann Kizzy leicht einzunicken, kurz nachdem das Baby eingeschlafen war, und oft murmelte sie etwas zu sich selbst, während sie so vor sich hin dämmerte. Wenn Matilda sich hinüberlehnte, um den schlafenden Virgil aus Kizzys Armen zu nehmen, hörte sie manchmal einige Worte von Kizzys Selbstgesprächen. Es waren immer dieselben: »Mammy – Pappy – sie sollen mich nicht fortnehmen! – Meine Familie ist verloren – Werd sie in dieser Welt nie mehr wiedersehn –« Dann war Matilda tief gerührt und flüsterte ihr etwa zu: »Jetzt sind wir deine Familie, Oma Kizzy«, und nachdem sie Virgil zu Bett gebracht hatte, half sie sanft der älteren Frau auf, die sie inzwischen wie ihre eigene Mutter liebte. Wenn sie sie dann in ihre eigene Hütte zurückbegleitet hatte, wischte sie sich oft auf dem Heimweg Tränen aus den Augen.
    An den Sonntagnachmittagen nahmen nur die drei Frauen an Matildas Gebetsstunden teil – bis schließlich Schwester Sarahs scharfe Zunge Onkel Pompey so beschämte, daß er sich ihnen hinzugesellte. Niemand dachte daran, Hühner-George dazu einzuladen, denn selbst wenn er am Sonntagmittag zu Hause war, kehrte er bald nach dem Essen zu seinen Hühnergehegen zurück. So saß die kleine Gruppe der fünf steif und feierlich auf ihren Stühlen, die sie aus ihren Hütten mitgebracht und im Halbkreis unter dem großen Kastanienbaum aufgestellt hatten, und Matilda las ihnen einige zuvor ausgewählte Bibelstellen vor. Dann schaute sie jeden mit ihren ernsten braunen Augen forschend an, fragte, ob jemand vorbeten wolle, und da sich niemand dazu erbot, pflegte sie stets zu sagen: »Nun denn, wollt ihr euch alle mit mir niederknien?« Und wenn sich alle ihr gegenüber niedergekniet hatten, sprach sie ein ergreifendes und einfaches Gebet und stimmte ein erbauliches Lied an. Selbst Onkel Pompeys rostiger und rauher Bariton fiel ein, als sie im Sklavenquartier ihre mitreißenden Spirituals erklingen ließen wie »Joshua fit de battle o’ Jericho! Jericho! Jericho! – an’ de walls come atumblin’ down!« Im allgemeinen schloß sich eine Diskussion über den Glauben an.
    »Heut ist der Tag des Herrn. Wir alle haben eine Seele zu retten und ein Himmelreich zu errichten«, sagte etwa Matilda in ihrer selbstverständlichen Art. »Wir müssen uns immer im Geist vorhalten, wer uns erschaffen hat, und das war Gott. Dann, wer uns erlöst hat, und das war Jesus Christus. Jesus Christus hat uns gelehrt, demütig zu sein, und uns erinnert, daß wir im Geist wiedergeboren werden können.«
    »Ich liebe den Herrn Jesus so sehr wie irgendwen«, bezeugte Kizzy in Demut, »aber ihr könnt’s ja alle sehn, ich hab nie viel von ihm gewußt, bis als ich groß war, und wenn auch meine Mammy sagte, sie hat mich taufen lassen bei ’ner Betversammlung, als ich noch so ’n kleines Ding war.«
    »Mir scheint, wir sind besser dran, wenn wir schon als kleine Kinder an Gott rangebracht werden«, sagte Schwester Sarah. Sie wies auf den kleinen Virgil, der auf dem Schoß seiner Großmutter saß. »Denn so fängt man beizeiten an, ein bißchen Religion einzusaugen, und dann bleibt man dabei.«
    Miss Malizy sprach zu Onkel Pompey. »Kannst nie wissen, ob du nicht ein Prediger geworden wärst, wenn du früh genug angefangen hättest. Siehst ja sogar wie einer aus.«
    »Prediger! Wie soll ich denn predigen, wo ich nicht mal lesen kann!« rief er aus.
    »Der Herr legt dir die Dinge in den Mund, wenn er will, daß du predigst«, sagte Matilda.
    »Der Mann da von dir, der George, hat mal hier predigen wollen«, sagte Miss Malizy. »Hat er dir das schon erzählt?« Sie lachten alle, und Kizzy sagte: »Der wär schon ein komischer Prediger geworden! Wenn er auch gern sein großes Mundwerk auftut.«
    »Der wär sicher ein schlauer Prediger geworden, mit großen Gebetsversammlungen und so«, sagte Schwester Sarah.
    Sie sprachen noch eine Weile über alle möglichen großartigen Prediger, die sie gesehn oder von denen sie gehört hatten.
    Dann erzählte Onkel Pompey von seiner mächtig glaubensstarken Mutter, an die er sich aus seiner Kinderzeit auf der Pflanzung, auf der er geboren worden war, erinnerte. »Sie war groß und fett und bestimmt die lauteste Frau, die je einer gehört hat.«
    »Das erinnert mich an Schwester Bessie, die

Weitere Kostenlose Bücher