Wurzeln
schlief, mit Sack und Pack davongingen und bei Freunden und Verwandten Zuflucht suchten. Sie hinterließen einen »leeren« Ältesten, wie die Kinder sich ausdrückten, und dieser habe bereits öffentlich gelobt, sich bessern zu wollen, wenn nur seine Leute zurückkehren wollten.
Da es bis zum Abend nicht mehr weit war, beschloß Omoro, in diesem Dorf zu bleiben. Unter dem Brotbaum wurde indessen von den Einheimischen eifrig über die Affären des Nachbardorfes getratscht. Allgemein war man der Ansicht, die Dörfler würden sehr bald zurückkehren, nun, da sie ihrem Ältesten eine Lektion erteilt hatten. Während Kunta sich den Bauch mit Erdnußmus und Reis vollschlug, vereinbarte sein Vater mit dem örtlichen jaliba , dieser möge seinen Brüdern durch die Trommel mitteilen, Omoro gedenke beim folgenden Sonnenuntergang bei ihnen zu sein, und mit ihm reise sein Erstgeborener.
Kunta hatte sich schon manchmal ausgemalt, wie es wäre, wenn er seinen Namen über Land getrommelt hörte, und nun also geschah das wirklich. Er bekam den Klang nicht mehr aus den Ohren. Als er später in der Gästehütte auf dem Lager aus Bambusstangen lag, stellte er sich vor dem Einschlafen trotz aller Müdigkeit alle die anderen jalibas vor, die jetzt über ihre Trommeln gebeugt saßen und von Dorf zu Dorf seinen Namen trommelten, bis er endlich im Dorf von Janneh und Saloum gehört werden würde.
Weil die Trommel gesprochen hatte, begrüßten sie nun am Baum der Reisenden in allen Dörfern, durch, die sie kamen, nicht mehr nur die nackten Kinder, sondern manchmal auch die Ältesten oder auch Dorfmusikanten. Und Omoro konnte nicht ablehnen, als einer dieser Ältesten um die Ehre seines Besuches bat, und wäre es nur ein ganz kurzer. Als die Kintes sich erfrischt hatten und sich zum Essen und Trinken unter den Kapokbaum setzten, versammelten sich die Erwachsenen um Omoro, begierig, dessen Antworten auf ihre Fragen zu hören, während die Knaben des ersten, zweiten und dritten kafo Kunta umringten. Die vom ersten kafo starrten ihn schweigend an, die Gleichaltrigen und etwas Älteren stellten sichtlich neidisch Fragen nach seinem Zuhause und seinem Ziel. Er antwortete ernst und, wie er hoffte, ebenso würdig wie der Vater auf die Fragen ihrer Väter. Jedenfalls glaubte er bei den Gastgebern den Eindruck zu hinterlassen, er sei ein junger Mann, der den größten Teil seiner Zeit damit verbrachte, mit dem Vater die Pfade Gambias zu bereisen.
Kapitel 20
Im letzten Dorf hatten sie so lange verweilt, daß Kunta und sein Vater unmöglich zur angegebenen Zeit bei den Onkeln eintreffen konnten, es sei denn, sie legten einen mächtigen Schritt zu. Zwar schwitzte er stark, und die Knochen taten ihm weh, doch wurde es Kunta erstaunlicherweise leichter, seine Traglast im Gleichgewicht zu halten, und er spürte neue Kraft in sich, denn die Trommeln kündeten jetzt unablässig die Ankunft der Gäste im nächsten Dorf an: Älteste, jalibas, griots und andere Würdenträger, welche entfernte Orte wie Karantaba, Kootacunda, Pisania und Jonkakonda vertraten. Von den meisten hatte Kunta nie gehört. Die Trommeln sagten, es sei ein griot aus dem Königreich Wooli gekommen und der König von Barra habe einen seiner Söhne geschickt. Kuntas schrundige Sohlen hasteten über den heißen staubigen Pfad, und er hörte mit Erstaunen, wie berühmt und beliebt seine Onkel waren. Bald schon lief er nicht nur, um den nun sehr rasch gehenden Omoro nicht zu verlieren, sondern auch, weil ihm diese letzten Stunden endlos vorkamen.
Endlich, die Sonne färbte sich im Westen bereits dunkelrot, sah Kunta Rauch von einem Dorf vor sich aufsteigen. An der Art, wie der Rauch sich kringelte, erkannte Kunta, daß getrocknete Brotfruchtbaumhülsen verbrannt wurden, um die Mücken zu vertreiben. Und daraus wiederum war zu schließen, daß wichtige Besucher erwartet wurden. Kunta hätte am liebsten laut gejubelt. Sie waren angekommen! Bald hörte er das dumpfe Dröhnen der tobalo- Trommel, die vermutlich immer dann gerührt wurde, wenn ein bedeutender Besucher das Dorf betrat. Dazwischen wurden die kleinere tan-tang- Trommel vernehmlich und die Schreie der Tänzer. Hinter einer Wegbiegung kam unter dem aufsteigenden Rauch ganz plötzlich das Dorf ins Blickfeld, und außerhalb, vor einem Gebüsch, gewahrten sie eine einzelne Gestalt, die sie im gleichen Augenblick sah und so aufgeregt zu gestikulieren begann, als sei sie eigens dort aufgestellt worden, um nach einem Mann und einem
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