Wurzeln
Sandboden, auf dem die abgefallenen sonderbar geformten Früchte von Brotfruchtbäumen trockneten. Wenn es Zeit wurde zu beten, machten sie Rast und aßen ein wenig, Kunta sah nach Lamins Bündel und seinen Füßen, die jetzt weniger bluteten. Endlich gelangten sie an den riesigen, hohlen alten Brotfruchtbaum an einer Weggabel, den die jungen Leute aus Barra beschrieben hatten. Gewiß war der Baum Hunderte von Regen alt. Kunta teilte Lamin mit, was er von den drei Wanderern gehört hatte: »Hier liegt ein griot begraben.« Er fügte hinzu, was er selber darüber wußte, nämlich daß griots nicht wie andere Menschen begraben werden, sondern in den hohlen Stämmen alter Brotfruchtbäume, denn sowohl die Bäume als auch die Erzählungen, welche die griots im Gedächtnis bewahrten, waren zeitlos. »Wir sind jetzt bald da«, fügte er hinzu und wünschte, er hätte schon die Trommel, die er sich erst machen wollte und auf der er den jungen Leuten seine Ankunft hätte ankündigen können. Bei Sonnenuntergang erreichten sie die Mergelgruben, und richtig, die drei Freunde waren da.
»Wir wußten doch, daß du kommen würdest!« riefen sie ihm zu und freuten sich sichtlich. Lamin ignorierten sie, als wäre er einer ihrer kleinen Brüder aus dem zweiten kafo. Nun fing eine angeregte Unterhaltung an, und die drei wiesen die Goldkörner vor, die sie gefunden hatten. Im ersten Licht des folgenden Morgens gruben auch Kunta und Lamin in dem klebrigen Boden und ließen große Tonbrocken in gefüllte Wasserbehälter fallen. Diese Behälter wurden dann schnell in den Händen gedreht, die lehmige Brühe vorsichtig abgegossen und geprüft, ob Goldkörner sich am Boden des Gefäßes abgesetzt hatten. Hin und wieder fanden sie wirklich welche, kaum größer als Hirsekörner.
Man arbeitete so eifrig, daß zu Gesprächen keine Zeit blieb. Lamin suchte so emsig nach Gold, daß er darüber seine Gliederschmerzen vergaß. Die gefundenen Körner wurden in den Kielen von Taubenfedern verwahrt, die sorgsam mit Baumwolle verschlossen wurden. Kunta und Lamin hatten sechs solche Kiele gefüllt, als die anderen sagten, nun hätten sie genug, sie wollten jetzt den Weg tiefer ins Landesinnere fortsetzen und nach Stoßzähnen von Elefanten suchen. Ältere Elefanten verlören nämlich manchmal einen Zahn, wenn sie kleinere Bäume entwurzelten oder im dichten Busch nach Nahrung suchten, auch hätten sie von einem geheimnisvollen Elefantenfriedhof gehört, der den, welcher ihn fände, reich machen würde, weil dort ein Vermögen an Elfenbein zu sammeln wäre. Ob Kunta mitkommen wolle? Kunta war sehr in Versuchung, denn das klang noch aufregender als die Suche nach Gold, doch es war unmöglich – nicht mit Lamin. Er dankte also etwas bekümmert für ihr freundliches Anerbieten und sagte, er müsse mit seinem Bruder umkehren. Man nahm herzlich Abschied voneinander, nachdem die drei Fremden versprochen hatten, auf dem Rückweg in Juffure über Nacht zu bleiben.
Der Rückweg kam Kunta kürzer vor. Lamins Füße bluteten zwar wieder, doch marschierte er tapfer voran und beschleunigte noch seinen Schritt, als Kunta ihm die Federkiele gab und dazu bemerkte: »Deine Mutter wird sich darüber freuen.« Er genoß diese Reise mit dem Bruder ebenso wie Lamin, der ja eines Tages Suwadu mitnehmen würde, und dieser eines noch ferneren Tages den kleinen Madi. Als sie sich dem Baum der Reisenden vor Juffure näherten, hörte Kunta, daß Lamin sein Bündel wieder einmal fallen ließ. Er drehte sich ärgerlich um, doch als er den flehenden Ausdruck auf dem Gesicht des Bruders bemerkte, sagte er nur barsch: »Meinetwegen laß es liegen und hol dir’s später!« Lamin, der die blutenden Füße und die Muskelschmerzen vergessen zu haben schien, rannte an ihm vorbei ins Dorf, so rasch ihn die dünnen Beine tragen wollten.
Als Kunta dann gemächlich ins Dorf kam, hatten sich bereits Frauen und Kinder um Binta versammelt, die sich gerade die goldgefüllten Federkiele ins Haar steckte, sichtlich glücklich und erleichtert darüber, daß die Söhne zurück waren. Binta und Kunta tauschten einen Blick, in dem viel mehr Zärtlichkeit lag als seit langem schon. Die geschwätzigen Frauen verbreiteten bald im ganzen Dorf die Neuigkeit, besonders priesen sie das Geschenk, das die Kinte-Söhne ihrer Mutter mitgebracht hatten. »Binta hat eine Kuh auf dem Kopf!« rief eine Greisin, und wirklich, die Federkiele stellten mit ihrer Goldfüllung den Kaufpreis einer Kuh dar. Dieser
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