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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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versucht hatte, sich von seinem dunkleren Ich zu lösen, dem Ich seiner gefährlichen Wut, weil er hoffte, seine Fehler durch einen Prozeß der Entsagung, des Aufgebens zu überwinden, war er nur in einen neuen, schlimmeren Fehler verfallen. Indem er sein Heil in der Schöpfung suchte und eine imaginäre Welt kreierte, hatte er zusehen müssen, wie deren Bewohner in die Welt hinausgingen und zu Monstern wurden; und das größte Monster von ihnen allen trug sein eigenes, schuldbeladenes Gesicht. Jawohl, der geisteskranke Babur war ein Spiegelbild seiner selbst. Indem er versuchte, schweres Unrecht gutzumachen, ein Diener des Guten zu sein, war Commander Akasz aus den Fugen geraten und zu einer grotesken Figur geworden.
    Ich habe es nicht besser verdient, sagte sich Malik Solanka. Soll das Schlimmste geschehen. Inmitten der kollektiven Wut dieser unglückseligen Inseln hatte er eine weit größere Wut entdeckt, die viel tiefer ging als sein eigener, erbärmlicher Zorn; er hatte eine persönliche Hölle entdeckt. So sei es. Neela würde natürlich niemals zu ihm zurückkehren. Er hatte es nicht verdient, glücklich zu sein. Als sie kam, um ihn zu sehen, hatte sie ihr schönes Gesicht verhüllt.
     
    Es war noch dunkel, als Hilfe eintraf. Die Zellentür öffnete sich, und ein junger Indo-Lilly-Mann kam herein, unmaskiert, mit Gummihandschuhen und einer Rolle Plastikmüllsäcken sowie mit Eimer, Schaufel und Mop. Ohne mit der Wimper zu zucken und sehr taktvoll, ohne den Blick des Verursachers zu suchen, räumte er den Schmutz, den Solanka hinterlassen hatte, davon. Als er fertig war, kehrte er mit sauberer Kleidung - einer hellgrünen Kurta und einer weißen Pyjamahose - sowie einem sauberen Handtuch, zwei neuen Eimern, einer leer, einer voll Wasser, und einem Stück Seife zurück. »Bitte«, sagte er, und: »Tut mir leid«, dann ging er hinaus. Solanka wusch sich, kleidete sich um und fühlte sich wieder ein bißchen wie er selbst. Dann kam Neela, allein, unmaskiert, in einem senfgelben Kleid und mit einer blauen Iris im Haar.
    Es lag ihr offensichtlich auf der Seele, daß Solanka Zeuge ihrer zaghaften Reaktionen auf Baburs Verhalten gewesen war. »Alles, was ich getan habe, alles, was ich noch tue, tue ich für die Story«, behauptete sie,. »Die Maske war eine Geste der Solidarität, eine Möglichkeit, das Vertrauen der Kämpfer zu gewinnen. Außerdem, weißt du, bin ich hier, um mir anzusehen, was sie tun, und nicht, um mich von ihnen ansehen zu lassen. Ich habe gemerkt, daß du dachtest, ich wollte mich dahinter vor dir verstecken. Das war nicht der Fall. Genauso wie mit Babur. Ich bin nicht hier, um zu diskutieren. Ich mache einen Film.« Sie klang defensiv, nervös. »Malik«, sagte sie dann plötzlich, »ich möchte nicht über uns reden, okay? Im Moment bin ich etwas ganz Großem auf der Spur. Darauf muß ich mich konzentrieren.«
    Er nahm die Gelegenheit wahr, riß sich zusammen und spielte seine Karten aus. Alles oder nichts, Hollyood oder Untergang: Er würde nie wieder so eine Chance bekommen. Möglicherweise hatte er ohnehin keine große, aber wenigstens war sie zu ihm gekommen, ja, hatte sich sogar fein dafür gemacht, und das war ein gutes Zeichen. »Das hier ist weit mehr für dich geworden als ein Dokumentarprojekt«, begann er. »Das hier geht dir wirklich zu Herzen. Für dich steht eine Menge auf dem Spiel - deine entwurzelten Wurzeln zerren an dir. Dein paradoxer Wunsch, ein Teil dessen zu sein, was du verlassen hast. Und nein, im Grunde habe ich nicht geglaubt, du könntest die Maske tragen, um dich vor mir zu verstecken, jedenfalls dachte ich mir, daß das nicht der einzige Grund war. Ich dachte, daß du dich vor dir selbst versteckst, vor dem Entschluß, den du irgendwann gefaßt hast, die Grenze zu überschreiten und an dieser Sache teilzunehmen. Auf mich wirkst du nicht wie ein Beobachter. Dazu steckst du viel zu tief drin. Vielleicht hat es mit einem persönlichen Gefühl für Babur begonnen - und keine Angst, hier spricht nicht die Eifersucht, auf jeden Fall gebe ich mir die größte Mühe, das nicht zuzulassen -, aber ich denke mir, wie immer deine Gefühle für Commander Akasz gewesen sein mögen, inzwischen sind sie längst nicht mehr so eindeutig. Dein Problem ist, daß du eine Idealistin bist, die versucht, eine Extremistin zu sein. Du bist fest überzeugt, daß dein Volk, wenn ich einen so antiquierten Ausdruck verwenden darf, von der Geschichte vernachlässigt worden ist, daß es

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