Wut
betuchter junger Männer, die sich S&M nannten, was, wie verlautete, für Single & Male stand, plante angeblich eine Mitternachtsversammlung, um den Verlust, den die vielgeliebten Hauptspender unter ihren Mitgliedern erlitten hatten, zu betrauern. Horse Marsalis, Anders Stash Andriessen - Bettgenosse der kleinen Candell - und Lauren Kleins Spaßvogel Keith Medford ( Club ) führten die Trauernden an. Da der S&M ein Geheimbund war, leugneten sämtliche Mitglieder rundheraus seine Existenz und weigerten sich, Gerüchte zu bestätigen, daß die Trauerzeremonien in Gruppensex, kriegsbemaltem Nackttanz und Nacktbaden an einem Privatstrand auf Marthas Vineyard gipfelten, bei dem Kandidatinnen für die Vakanzen in den Betten der Big Guys aufs intimste getestet wurden.
Alle drei toten Mädchen und ihre noch lebenden Schwestern entsprachen also Eleanors Definition von Desdemonas. Sie waren Besitz. Und jetzt lief ein mordlustiger Othello herum, der in diesem Fall vielleicht das vernichtete, was er nicht besitzen konnte, weil eben dieses Nichtbesitzen ihn in seiner Ehre verletzte. Nicht wegen ihrer Treulosigkeit, sondern wegen ihres Desinteresses tötete er sie in dieser Y2K-Version des Theaterstücks. Aber vielleicht ermordete er sie auch ganz einfach, um ihren Mangel an Menschlichkeit aufzudecken, ihre Zerbrechlichkeit. Ihre Puppenhaftigkeit. Denn sie waren - jawohl! - Androidenfrauen gewesen, Puppen des modernen Zeitalters, mechanisiert, computerisiert, nicht die schlichten Nachbildungen längst vergangener Kinderzimmer, sondern voll realisierte Inkarnationen menschlicher Wesen.
In ihren Ursprüngen war die Puppe nicht ein Ding für sich gewesen, sondern ein Abbild. Schon lange vor den ersten Stoffpuppen und den abschreckenden Golliwogs hatten Menschen Puppen als Porträts bestimmter Kinder und auch Erwachsener angefertigt. Es war immer ein Fehler zuzulassen, daß andere eine Puppe von dir selbst besaßen; denn wer deine Puppe besaß, besaß ein wesentliches Teil von dir. Die extreme Verkörperung dieser Idee war natürlich die Voodoo-Puppe, die Puppe, in die man Nadeln stecken konnte, um demjenigen Schmerzen zuzufügen, den sie darstellte, die Puppe, der man den Hals umdrehen konnte, um einen lebenden Menschen umzubringen: aus der Ferne, und zwar so effektvoll, wie es ein muslimischer Koch mit einem Hühnchen tut. Dann kam die Massenproduktion, und das Band zwischen Mensch und Puppe wurde zerrissen; Puppen wurden sie selbst und Klone von sich selbst. Sie wurden Reproduktionen, Fließbandversionen, charakterlos, uniform. In der heutigen Zeit veränderte sich das alles abermals. Solankas eigenes Bankkonto verdankte alles dem Wunsch der modernen Menschen, Puppen nicht nur mit einer Persönlichkeit, sondern mit Individualität zu besitzen. Seine Puppen hatten viel zu erzählen.
Aber jetzt wollten Frauen wie Puppen sein, die Grenze überschreiten und wie Spielzeug aussehen. Jetzt war die Puppe das Original, die Frau das Abbild. Diese lebenden Puppen, diese schnürelosen Marionetten, waren nicht nur äußerlich aufgepuppt . Hinter ihrem hochgestylten Äußeren, unter dieser perfekt durchscheinenden Haut, waren sie so mit Verhaltenschips vollgestopft, so gründlich auf Etikette programmiert, so perfekt gepflegt und gekleidet, daß es für ein wenig schlampige Menschlichkeit keinen Platz mehr in ihnen gab. Sky, Bindy und Ren repräsentierten daher den letzten Schritt der Verwandlung in der kulturellen Geschichte der Puppe. Nachdem sie an ihrer eigenen Entmenschlichung mitgearbeitet hatten, endeten sie als bloße Totems ihrer Klasse, der Klasse, die Amerika lenkte, das wiederum die Welt lenkte, so daß ein Angriff auf sie, wenn man es so sehen wollte, einem Angriff auf das große amerikanische Imperium, die Pax Americana selbst gleichkam ... Eine Leiche auf der Straße, dachte Malik Solanka, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehrend, sieht fast so aus wie eine zerbrochene Puppe.
... O Gott, wer wäre heute noch auf diesen Gedanken gekommen, wer außer ihm selbst? Gab es in Amerika noch jemanden mit so häßlichen, fehlgeleiteten Vorstellungen im Kopf? Wenn man diese jungen Frauen fragte, diese hochgewachsenen, selbstsicheren Schönheiten auf dem Weg zu Summa-cum-laude-Abschlüssen und glanzvollen Wochenenden auf teuren Jachten, diese Prinzessinnen des Jetzt, mit ihren Limo-Services, ihrer Wohltätigkeitsarbeit, ihrer schnellebigen Existenz und ihren zahmen, bewundernden Superhelden, die danach lechzten, ihre Gunst zu
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